Der Ariella Verlag: Deutschlands erster jüdischer Kinderbuchverlag nach der Shoa (Berliner Morgenpost, Februar 2015)

veröffentlicht in Berliner Morgenpost, Februar 2015

Das hat es lange nicht mehr gegeben: Einen jüdischen Kinderbuchverlag in Deutschland. Als die heutige Verlegerin und Autorin Myriam Halberstem in Berlin ihre beiden Töchter bekam, bedauerte sie es, kaum aktuelle deutschsprachige Kinderbücher über jüdisches Leben finden zu können.

Myriam Halberstam wurde in New York geboren, aufgewachsen ist sie in Frankfurt am Main. Ihr Vater war drei Jahre alt, als er 1924 mit ihrem Großvater, einem Rabbiner aus Polen, in die USA einwanderte. Als US-Soldat kam er im Zweiten Weltkrieg nach Deutschland, um gegen die Nazis zu kämpfen. Und er blieb. Nach dem Abitur wanderte Halberstam nach Israel aus, weil sie sich in Deutschland nicht wohlfühlte. „Mein Umfeld war antisemitisch geprägt“, berichtet sie über diese Zeit, „und es gab kaum jüdisches Leben.“ Doch Deutschland habe sich verändert, heute sei das anders, stellt sie fest. Gerade Berlin ist zum Anziehungspunkt für junge Israeis geworden. Fast 20.000 Israelis leben mittlerweile in der Hauptstadt. Aber weil es noch immer antisemitische Anschläge auf Juden und viele Ressentiments gäbe, „ist es umso wichtiger, jüdische Bildung und Kultur zu vermitteln“ – so Halberstam. Aus diesem Gefühl eines kulturellen Mangels, was die Wissensvermittlung an eine jüngere Generation angeht, gründete Halberstem vor fünf Jahren den Ariella-Verlag. Für jüdische Kinder und Eltern sind die künstlerisch und pädagogisch wertvollen Bücher eine langersehnte Bereicherung, in denen jüdische Kinder sich und ihren Alltag wiederfinden können – für nicht jüdische Leser ein ebenso ästhetisch ansprechender wie humorvoller Ausflug in die jüdische Kultur. Auf spielerisch lustvolle Art und Weise stellt der Ariella Verlag dem deutschen Publikum israelische Kinderbuchklassiker vor.  Mittlerweile hat der Verlag sich weit über die jüdische Leserschaft hinaus einen Namen gemacht – die Neuübersetzung der jüdischen Kinderbibel, der Thora, läuft sehr gut (Erzähl es deinen Kindern – die Thora in fünf Bänden“). Seit fünfzig Jahren hatte es keine neue Thora-Kinder-Ausgabe mehr in Deutschland gegeben. Die Tradition deutsch-jüdischer Kinder- und Schulbibeln schien abgebrochen zu sein. Die Judaisten Hanna Liss und Bruno Landthaler aus Frankfurt am Main haben für den deutschsprachigen Raum nun diese beeindruckende Thora übertragen. Parascha für Parascha (Leseabschnitt) wird in kindgerechter Sprache nacherzählt. „Nicht um fromm zu werden. Sondern um einen wunderbaren Text zu lesen“ – so wirbt Landthaler bei Kindern und Jugendlichen auf seiner Webseite parasche.de, die er einrichtete, bevor es die gedruckte Ausgabe der Kinder-Thora gab, für das Buch der Bücher. Die Thora für Kinder sei „kein Missionswerk“, betont er. Die wunderschönen Bilder des israelischen Illustrators Darius Gilmont ergänzen dieses Werk zu einem besonderen (Vor-)Leseerlebnis. Für Band 1 der Kinderthora erhielt der Verlag die Auszeichnung „Buch des Monats Juli 2014“ von der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur.  Sehr erfolgreich ist auch das „Israel-Wimmelbuch“ für kleine Kinder (ab anderthalb Jahren).  Rachel Shalev führt in einem handlichen, nicht zu riesigen Format durch das Land. Überall wimmelt es von verschiedensten Menschen in einem fröhlichen Durcheinander, das sich zwischen Mittelmeer, Galiläa, See Genezareth, Negev-Wüste, Tel Aviv und Jerusalem abspielt. Die Haltung des Verlags, der sich klar für eine multikulturelle tolerante Gesellschaft ausspricht, findet sich in diesem Buch wieder. Alle Religionen leben friedlich zusammen, Christen, arabische, orthodoxe und säkulare Israelis, Beduinen und Äthiopier. Auf den bunten Bildern wuseln Touristen, Rabbiner Teitelbaum und seine große Familie, die Soldatin Rotem, der Postbote Avi, der den Empfänger eines Briefs in ganz Israel sucht, tanzende Chassiden, eine Jugendfußballmannschaft, eine deutsche Nonnengruppe, ein Liebespaar, eine Beduinenfamilie auf ihrem Kamel, eine äthiopische Einwanderin mit ihrer Tochter, ein Kibbuznik auf… hier und da entdeckt man historische Gestalten wie Theodor Herzl oder Ben Gurion. Über das „Israel-Wimmebuch“ schrieb die Jüdische Allgemeine: „Dass es auch auf nichtjüdische Kinder mehr als einladend wirkt, ist ein wunderbarer Nebeneffekt. Außerdem schafft das Buch eine Art Ausgleich zur morgendlichen Zeitungslektüre. Es vermittelt ein Israelbild voller Lebensfreude, Vitalität und Optimismus. Es macht gute Laune.“

Sehr ansprechend ist auch das Frühjahrsprogramm des Ein-Frau-Verlags, dem es erstmalig gelungen ist, drei neue Titel in einer Saison auf den Markt zu bringen. Marina B. Neuberts „Bella und das Mädchen aus dem Schtetl“ ist ein historisch fundierter, hochspannender Roman für etwas ältere Kinder. Bella, ein zehnjähriges Berliner Mädchen, unternimmt eine Reise in die Vergangenheit zu einem anderen Mädchen. Mit dieser Gefährtin erkundet Bella die Lebenswirklichkeit in einem polnischen Schtetl – den beiden Mädchen gelingt es, einen gestohlenen Familienschatz wiederzufinden. Wäre dies nicht gelungen, hätte auch Bella in der Vergangenheit bleiben müssen. Aus der Feder der Verlegerin selbst stammt das wunderschöne Bilderbuch „Im Galopp aus Ägypten“, das den Auszug aus Ägypten thematisiert. In „Die schlaue Esther – Eine jüdische Geschichte aus dem alten Persien“ kommt die originellen Figuren aus dem bubales-Puppentheater Berlin zu Wort.

Auf die Frage hin, wie sie auf den Namen „Ariella“ für den Verlag gekommen sei, erklärt Myriam Halberstam, dass „Ariella“ so viel wie „Löwin Gottes“ bedeutet. „Ich wollte etwas Hebräisches aber nicht zu Jüdisches – schwungvoll und dynamisch“. Arbeit im Verlag gebe es für drei, sagt die zierliche Frau mit den langen dunklen Locken nun.  Sie muss fast alles selber in die Hand nehmen. Neben der reinen Verlagsarbeit liest sie auch in Schulen, Kindergärten, Museen und Stadtbibliotheken aus den Werken des Ariella-Verlags. „Es ist ein ganz schöner Kampf“,  findet Myriam Halberstam, „aber auch eine schöne Bestätigung, das Interesse der Kinder zu spüren.“

Ariella Verlag: www.ariella-verlag.de

© Tanja Dückers, im Februar 2015

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