veröffentlicht in Jungle World, Juli 2009
Mit 50 Mark dabei
Im Frühjahr 1988 fand das legendäre Open-Air-Konzert vor dem Berliner Reichstag statt. Das Konzert fiel in meine Abi-Prüfungszeit, und meine Eltern waren alles andere als begeistert darüber, dass ich mit meinen Freundinnen da hingestiefelt bin. Ich war keine große Disco-Maus und auch kein Fan von Jacksons Musik – ich war eher auf dem Retro-Trip, hörte Sixties, besonders sehr eigentümliche, psychedelische Sachen, und zum Entsetzen einiger Klassenkameraden auch Country, gern Dinge wie »Space Country«. Auf unseren Klassenfeten war ich musikalisch immer eine Außenseiterin. Aber zum Jackson-Konzert bin ich hingegangen und habe für das Ticket mühsam 50 Mark zusammengespart.
Mir imponierte Michael Jackson als Exzentriker, als Klamottenfanatiker mit schrillem Geschmack, als Glamourgestalt (ich begeisterte mich damals auch für David Bowie in seiner Ziggy-Stardust-Phase) und als androgyner Typ, der nicht dem Bild des herkömmlichen männlichen Rockstars entsprach. Er war interessanter als die meisten Stars, wenngleich eher im soziologischen Sinne als im musikalischen. Irgendetwas an ihm und seinem Auftreten schien absolut neuartig, utopistisch, zukunftsgerichtet, unverbraucht. Er schien wirklich so eigentümlich zu sein, wie er sich gab, er hatte in aller seiner Schrägheit etwas Authentisches, Überzeugendes, man hatte bei ihm nicht den Eindruck, dass er sich nur ein Image zugelegt hatte, um damit Geld zu verdienen. Seine Musik war allerdings auch damals in erster Linie Kommerzmusik, wenngleich etwas interessanter, zum Beispiel mit ihren Rhythmenwechseln, als ganz herkömmliche Discomusik.
Später fand ich Jacksons Versuch, sich seiner Identität und Hautfarbe zu entledigen, jedoch auch traurig. Ich weiß nicht mehr genau, wann man den Eindruck hatte: Hier hat er eine Grenze überschritten.
© Tanja Dückers, Juli 2009