Temporäre Heimat – Über die Ausstellung „Neue Heimat – Berlin Contemporary“ in der Berlinischen Galerie (Jungle World, September 2007)

veröffentlicht in Jungle World, September 2007

Wo ist Zuhause? In der WG, im ­Reihenhaus, in der Single-Wohnung? 29 Künstler aus dem In- und Ausland beschäftigen sich mit der Stadt, in der sie sich für einige Zeit ­niedergelassen haben, und fragen, ob Berlin heimat­tauglich ist.

Was Wohnen, Behausung, mo­­biles Leben, nomadenhaftes Dasein zwischen Reisen, Flucht und Migra­tion, was eine Pluralität von »Heimaten« und Identitäten bedeuten könnte, versucht die Ausstellung »Neue Heimat« der Berlinischen Galerie zu erkunden. Die 29 beteiligten Künstler kommen aus so unterschiedlichen Ländern wie Finnland, Is­rael oder Argentinien, dennoch merkt man ihren Arbeiten an, dass sie alle zur Generation der Vielreisenden, der Multitasker und der im übertragenen Sinne Fremdgeher gehören. Ihre Arbeiten tragen assoziativ aufgeladene Titel wie »Every Inch is Mine«, »Between Here and There«, »Here, There and Everywhere« (vielleicht in Anspielung auf den Lennon-McCartney-Titel), »Above the Below« oder »Waldputz«, »Berliner Hütte«, »Ankern«, »Alles auf Anfang« und »Zentrale Randlage«.

»Berlin Contemporary« lautet der Untertitel der Ausstellung; den Künstlern gemeinsam ist, dass sie einmal in Berlin gelebt haben oder hier wohnhaft sind. Berlin ist der Ausgangs-, Mittel- und/oder Fluchtpunkt dieser Künstler. Von über­strapazierten Bildern wird man verschont, kein Fernsehturm, kein Palast der Republik, keine Karl-Marx-Allee werden feilgeboten. Statt dessen wird das Bekannte verfremdet: Erla Haraldsdóttir (aus Island) und Bo Melin (aus Schweden) haben »hässliche« Orte aus Berlin, verwahrloste Ecken, Brachflächen und Graffitiwände aus Berlin-Kreuzberg in Fotos ihrer skandinavischen Heimatstädte eingebaut, so dass eine andere Realität, ein Zwitter entsteht. Die Übergänge sind unsichtbar. Beide Künstler sagen, erst in Kreuzberg sei ihnen klar geworden, wie seltsam sauber und ordentlich es doch in skandinavischen Städten so zugehe. Paul Ekaitz, von Barce­lona nach Berlin gezogen, hat in seiner Arbeit »Hinterhof« die Wohnungen all seiner Freunde in Berlin nachgebaut, neu angeordnet und verschachtelt und damit ein neues, abstraktes Gebäude in poppigen Farben geschaffen.

Via Lewandowski (von Dresden nach Berlin) hat ein riesiges, spitz zulaufendes Kartenhaus gebaut – mit Fenstern. Mit dieser ironischen Arbeit führt er die »Sicherheit«, die »Haus und Heim« konnotativ vermitteln, ad absurdum. Mobilität, Flexibilität, Trennungen, Krisen, private und kollektive Katastrophen – all dies impliziert diese kraftvolle Arbeit.

Mit »Heimat« assoziiert man Begriffe wie Heim oder Behausung. Daher haben zahlreiche Exponate im weitesten Sinne etwas mit Architektur zu tun. Das Haus kann als schützende Hülle, als Sehnsuchtsort und Zuflucht fungieren, aber auch ein gefährdetes, ein bedrohtes Domizil sein. Bei den 29 verschiedenen künstlerischen Herangehensweisen wird deutlich, dass »Heimat« nicht mehr als etwas Selbstverständliches angesehen werden kann, immer ist das Verhältnis zu ihr distanziert, zweifelnd, sehnsuchtsvoll, gebrochen. Entweder wird sie auratisiert oder ironisiert, nie ist sie einfach da. Ähnlich verhält es sich mit dem Umgang der Künstler mit der Landschaft, die seit jeher besonders mit dem Heimatgefühl verbunden wird. Ob sie Schutz und Spielraum für das sich selbst suchende Ich bedeutet – wie in der Romantik – oder eher selbst zum schutzbedürftigen Territorium mutiert ist, ist eine Frage von Zeitgeist und veränderter Umwelt.

Bei Markus Draper verschmelzen in digital er­stellten Collagen postkartenschöne Berg­kulis­sen mit Zivilisationsruinen – düstere Mond­land­schaf­ten, eine Welt am »Day After« scheint errichtet worden zu sein. Miguel Rothschild, der 1991 von Buenos Aires nach Berlin zog, hat aus bunten Strohhalmen eine Art dreidimensionalen Raum gebaut, dessen spielerische Leichtigkeit an einen Spielplatz oder ein Kinder­zimmer erinnert. Doch es gibt neben der vielfarbig beschworenen Gegenwart eine Fährte in eine andere Zeit: Das bunte Objekt ist exakt dem seltsamen Stein auf dem Dürer-Stich »Melen­colia I« (eine Abbildung hängt in der Ausstellung) von 1514 nachgebildet, es rekurriert augenzwinkernd auf diesen »Stein des Weisen«. Anders als bei Dürer kann man jedoch bei Rothschild in das Objekt hineinsehen, es gibt einen Innenraum der Melancholie. Tea Mäkipää aus Finnland hat wiederum einen radikalen Blick hinter die Kulissen des häuslichen Wohnens gewor­fen und ein Haus in realer Größe nachgebaut, – jedoch auf alle die Privatheit abschirmenden Aspekte – Dach, Wände, Böden – verzichtet. Was übrig bleibt, ist das Skelett eines Hauses, ist ein auf funktionale Grund­elemente – Heizung, Rohre, Toilette, Spülbecken – reduziertes Wohnen. Aus den Lautsprechern dringt ein Ehestreit, der in dem leeren Geisterhaus konserviert scheint. Kritik an Überwachungsmaßnahmen, an der völligen Bloß­legung des Privaten, ist hier angedeutet.

Der Gegenpol zu »Haus« und »Heim« ist die Fremde, von der Kuratorin Ursula Prinz zu Recht sagt, dass der heutige Mensch einen Großteil seiner Lebenszeit in ihr verbringt – teils freiwillig, teils ökonomisch bedingt, teils aufgrund von Krieg oder Naturkatastrophen. In vielen Arbeiten wird das Vertraute und das Fremde, das Eigene und das Andere vermischt. Es wird deutlich, dass in einer Ära, in der es nichts nirgendwo noch nicht gibt und alles – von McDo­nald’s bis hin zum Handy und zum »Lonely Planet« – ubiquitäre Verbreitung erhalten hat – »Heimat« und »Fremde« Begriffe sind, die sich nicht mehr scharf voneinander abgrenzen lassen. Es entstehen neue transnationale, frei flottierende geistig-kulturelle Standorte, die gleichermaßen beruhigen (überall entdeckt man ein Stück »Heimat« wieder) wie auch Angst erzeugen können, Angst, weil »Heimat« und Authentizität in besonderer Weise miteinander korrespondieren. Kopierte Versatzstücke des Eigenen können nicht über ihren Substitutions­charakter hinwegtäuschen. Längst ist der Heimatbegriff fließend, verstehen wir unter »Heimat« immer weniger die Faktizität eines Ortes. Es gibt sie oft als portablen »Ort«, im Taschenbuchformat, als Talisman.

In einer sich uniformierenden Welt wird »Heimat« zum utopischen Un-Ort, zur verklärten oder verteufelten Erinnerung – jedenfalls ist sie für viele Menschen kein realer und schon gar kein statischer Ort mehr. Oft ist sie nicht viel mehr als die nackte Haut, die eigenen Hoffnungen und Wünsche, die in einer von Mobi­lität und Migration geprägten Zeit so etwas wie Identität stiften können. Costa Vece (Zürich) hat mit »Revolución/Patriotismo Tent« einen spannenden Beitrag zum Thema nationalistische Abgrenzung, Kleinstaaterei und Fremdenhass geliefert. Sein Zelt besteht aus zusammengenähten Stoffstücken in den Na­tio­nal­farben verschiedener Länder. Armut, Kleiderhaufen und Flüchtlingszelte werden hier assoziiert.

Mona Hatoum aus Beirut, 2002 auf der Do­cumenta vertreten, hat ihre Erfahrungen von Flucht und Migration in einer Installation umgesetzt: Die Möbel einer Wohnung sind auf ­Fäden aufgezogen und bewegen sich langsam durch den Raum. Das Gefühl, ständig unterwegs sein zu müssen, nur noch aus dem Koffer zu leben und sich nirgendwo mehr wirklich niederlassen zu können, wird hier auf eindringliche Weise vor Augen geführt. Dritte Welt und Erste Welt haben plötzlich etwas miteinander gemeinsam.

In dem Video »The Rise« von Nina Fischer (von Emden nach Berlin) und Maroan El Sani (von Duisburg nach Berlin) hastet ein junger Mann im Anzug in einem hypermodernen Hoch­hauslabyrinth, mal auf Außentreppen, mal innen, Stockwerk für Stockwerk höher. Wir ahnen schon, er wird sein Ziel nicht erreichen, das Haus ist ein Turm zu Babel des kapitalis­tischen Übermuts, hier will jemand immer höher hinauf und kommt doch nie an. Er begegnet nur sich selbst in absurden Szenen, er verliert sich in der überall gleich aussehenden Glas­hausarchitektur. Eine eindringliche, gespens­tische Arbeit über Karrierismus und inhumane Architektur.

Michel de Broin aus Montreal ist mit »Black Whole Conference« ebenfalls eine böse Metapher auf die Allgegenwart der Ökonomie und Macht gelungen. Ein ungefähr drei Meter hoher Kubus besteht nur aus kunstvoll ineinander ver­schachtelten schwarzen Bürostühlen, die somit Teil einer abstrakten Skulptur geworden sind. Die Stuhlbeine weisen alle igelartig nach außen, die Skulptur bekommt dadurch etwas Bedrohliches. Der Titel deutet an, dass sehr vieles von dem, was auf Konferenzen so geäußert wird, wertlos ist – das Wort »Black Hole« ist inbegriffen.

Die Berlinische Galerie, 1975 als privater Verein gegründet, war selbst lange Zeit heimat- und obdachlos: mussten doch jahrelang alle Projekte anderswo, nämlich im Martin-Gropius-Bau, untergebracht werden. 1999 war zunächst geplant, die Berlinische Galerie auf dem alten Schult­heiss-Areal in Kreuzberg anzusiedeln – doch 2001 beantragte der Projektentwickler Insolvenz. Es musste ein neuer Standort gesucht werden. Erst 2004 hat die Berlinische Galerie mit einem alten, derweil umgebauten Industriekomplex in der Alten Jakobstraße in Kreuzberg eine neue Behausung gefunden. Die schönen gelben Buchstaben auf dem Boden, die zu einem Hüpfspiel einzuladen scheinen, weisen schon von Weitem auf das äußerst innovative Museum hin.

Der Berlinischen Galerie ist eine großartige Ausstellung gelungen, die ein anspruchsvolles, zeitgemäßes Sujet multiperspektivisch beleuch­tet. Ein gelungener Start in einen vielversprechenden Berliner Kunstherbst!

Neue Heimat – Berlin Contemporary. Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Alte Jakobstraße 124–128, 10969 BerlinBerlin. Bis 7. Januar 2008. Parallel zur Ausstellung präsentiert die Berlinische ­Galerie im Auditorium drei aktuelle Arbeiten von Clemens Krauss aus der Serie »Chromosomes«. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Kerber Verlag, Leipzig, 19,80 Euro.

© Tanja Dückers, August-September 2007

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