Schwarz-grün hat längst begonnen

Schwarz-grüne Koalitionen wird es künftig öfter geben. Sie vereinen das Bedürfnis nach Moral und Gemütlichkeit. Davon profitieren werden die Konservativen.

Der neue schwarz-grüne Zeitgeist ist das erfolgreichste Produkt Made in Germany seit Langem: War früher Linkssein noch eine anstrengende, nervenaufreibende Angelegenheit, verbunden mit einer ungewissen Zukunft und einer prekären Lebens- und Arbeitssituation, so garantiert die Kombination Schwarz-Grün, dass Linkssein auch behaglich sein kann. Schwarz-Grün ist den Deutschen geradezu auf den Leib zugeschnitten: Weltverbessertum und tiefes moralisches Empfinden paaren sich mit Sicherheitsdenken und Gemütlichkeit. Endlich lässt es sich links sein ohne auf Komfort, Tradition, Kirchengemeinde, Reihenhäuschen, Vorgarten und Schützenverein verzichten zu müssen.

Wer dabei langfristig gewinnt, ist offensichtlich: die Schwarzen. Sie drohten unmodern zu werden; mit ihrer – verworfenen – Atomlinie, mit ihrem Glauben an das ewige Primat der Ökonomie, mit ihrer transatlantischen Demut und anderen für den deutschen Moralbürger zweifelhaften Haltungen an Popularität zu verlieren. In einer möglichen Kombination mit den Grünen erhalten die Schwarzen, die für ökonomischen Erfolg und Rationalität stehen, einen gefühlig-moralischen Überbau, in der alten Maschine schlägt ein neues Herz.

Der Neobiedermeier tilgte alles Linke, aber nicht die Grünen

Dem politischen Wandel ist, wie immer, ein kultureller Wertewandel vorausgegangen: Im vergangenen Jahrzehnt ist kaum eine Bevölkerungsgruppe so attackiert worden wie die sogenannten Alt-Achtundsechziger. Das lag nicht nur am Ende von Rot-Grün. Die Achtundsechziger wurden von der Bildungsmisere bis hin zu schlecht gekleideten Menschen für alles verantwortlich gemacht. Nicht der richtige Feminismus, falsche Erziehung, zuviel laissez faire , zu viel Sozialromantik, zuviel Armenpolitik – an allem waren die Achtundsechziger schuld.

Stattdessen breitete sich neue Biedermeierlichkeit aus: eine Art postmodernes, grelles Biedermeier, kein sexuelles Biedermeier wie in den fünfziger Jahren, das Schwule, Lesben oder Polygame ausgrenzt; auch kein ethnisches, das Ausländerfeindlichkeit propagiert, aber dennoch, bei allen lärmenden, bunten und hedonistisch-experimentellen Aspekten, eines des enorm verengten Blickfeldes: Privatismus und Stagnation – als Antwort auf das penetrante Wir-Gefühl und den ewigen Veränderungs- oder gar Revolutionswillen der Linken.

Linkssein wurde als gesellschaftlicher Entwurf obsolet, mitsamt den Forderungen nach Klassenkampf und radikalen gesellschaftlichen Experimenten. Geblieben ist hingegen der leise Wandel in den Lebenswelten – eine gesellschaftliche Liberalisierung von der Kleiderordnung bis in die Kapillaren der sozialen Beziehungen und des Alltagshabitus: Patchworkfamilie, Dreitagebart, bisschen Unterschriftensammeln und Bio-Essen.

Erfolgreich wurde das Untergraben der bis dato hegemonialen bürgerlichen Primärtugenden aber vor allem durch den wirtschaftlichen Wandel der vergangenen zwanzig Jahre. Die Avantgarde im postindustriellen Zeitalter ist nicht mehr die der grauen Eminenzen, der stromlinienförmigen Angestellten oder fleißig-unauffälligen Arbeiter. Vielmehr wird sie nun von denjenigen konstituiert, die gebildet, kreativ, scheinbar unangepasst und flexibel sind.

Dieser Wandel hat den Boden bereitet für einen neuen Begriff der Bürgerlichkeit: Er verbindet bürgerlich-konservative Werte wie Leistungsbereitschaft und Eigenverantwortlichkeit mit linken Tugenden wie individueller Freiheit, Selbstverwirklichung und einer gewissen kosmopolitisch-toleranten Haltung, ohne die in Zeiten der Globalisierung schlecht Geschäfte zu machen wären.

Geblieben ist auch ein latenter Eifer, den eigenen Lebensentwurf als gesellschaftliches Leitbild durchzusetzen: Im Mittelpunkt stehen dabei nicht mehr polarisierende Ideen wie etwa die radikale Umverteilung des materiellen Reichtums, sondern linke Anliegen, die konsensfähig sind: die Bewahrung der Natur, nachhaltiges Wirtschaften.

Der zeitgemäße Konservatismus ist grün

Den Grünen gelang es als einziger linker Partei, vom Neobiedermeier und der gesellschaftlichen Ablehnung linker Ziele zu profitieren. Sie waren so geschickt, den Teil ihrer Ziele zu bewahren, der am ehesten mit dem der Konservativen vereinbar ist: die ökologischen Programme, der Schutz der Natur – an sich konservative Anliegen. Dabei opferten sie jedoch viele andere Inhalte, die ihre Identität ausmachten. Damit transformieren die Grünen und ihre Sympathisanten das Erbe der Achtundsechziger, die sich selbst als die besseren Bürger verstanden haben, auf einen gesund geschrumpften, gesellschaftlich breit akzeptierten Teil. Die Grünen begeben sich dabei in die Gefahr des Substanzverlustes. Aus einer schwarz-grünen Machtkonstellation könnte langfristig Schwarz mit grünen Pünktchen werden.

Dennoch: Die neue schwarz-grüne Bürgerlichkeit kann sich derzeit bestens abgrenzen gegen andere, mittlerweile antiquiert wirkende Varianten der Bürgerlichkeit; etwa dem moralabstinenten, wirtschaftsliberalen Modell, das sich mit der FDP und Westerwelle als bloße bourgeoise Interessensvertretung entpuppte. Als ebenso überholt erwies sich die politisch-konservative Wertehaltung der Union, da sie noch zu sehr der alten Industriegesellschaft und ihren Werten verbunden ist – wie Merkel mit ihrer Unterstützung der Atom- und Autoindustrie demonstrierte. Absehbar war auch, dass sich Helmut Kohls Begriff von Bürgertum mit dem der neuen schnittigen Weltbürger nicht mehr vertragen würde.

Angesichts all dieser Alternativen vertreten die Grünen theoretisch die vernünftigste bürgerlichste Perspektive: konservativ, aber modern, leistungsorientiert, aber nachhaltig, individualistisch, aber am Gemeinwohl interessiert. Praktisch aber können sie daran scheitern, diese Widersprüche zu versöhnen, wenn sie erst mit der Union die Macht teilen.

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