Religion muss privat sein (ZEIT Online, September 2012)

veröffentlicht auf ZEIT Online, September 2012


Die Trennung von Staat und Kirche wird aufgeweicht. Muslimische Religionsgemeinschaften werden aufgewertet statt darüber nachzudenken, ob die Kirche zuviel Macht haben.

Die Trennung von Kirche und Staat wird hierzulande auf sanfte Weise immer weiter aufgehoben. Wir sollten eigentlich hinterfragen, welche Macht, Privilegien und freien Rechtsräume die christlichen Kirchen noch immer genießen und ob sich diese aus berechtigten Ansprüchen speisen. Besonders erschütternd wurde uns diese Frage vor Augen geführtwährend des Missbrauchsskandal der katholischen Kirche . Das Kirchenrecht hat einen enormen Spielraum in Deutschland.

Aber statt die Macht der christlichen Kirchen zu begrenzen, werden  andere Religionsgemeinschaften aufgewertet. Dass die Stadt Hamburg muslimische Feiertage nun als nicht gesetzliche Feiertage einführen will, ist zwar ein positives Signal, um die verschiedenen Religionsgemeinschaften in Deutschland rechtlich gleichzustellen. Schließlich können Arbeitnehmer oder Schüler auch christliche Feiertage wie den Buß- und Bettag begehen, ohne zur Arbeit oder in die Schule zu gehen.

Aber wollen wir tatsächlich für ein noch stärker religiös geprägtes Alltagsleben in Deutschland streiten? Dies ist die entscheidende Frage, jenseits partikularer Streitigkeiten über einzelne Feiertage.

Außer der Frage der Gleichberechtigung ist es langfristig betrachtet nicht einzusehen, warum ein säkularer Staat die Zahl der religiösen Feiertage noch ausweitet. Wie wird das Bundesland Hamburg , und nach ihm andere Bundesländer, entscheiden, wenn andere Religionsgemeinschaften auch Ansprüche auf ihre Feiertage erheben? Kann man Juden, Buddhisten, Hindus, Taoisten etc. verbieten, an einem ihrer zentralen Feiertage ihrer Arbeit fernzubleiben? Eine Verweigerung wäre unlogisch. Doch das ist nur das pragmatischste Problem in dieser durchaus populistisch gefärbten Wundertüten-Politik.

In den USA werden Feiertage oft privat verhandelt

Migranten sollen gern in Deutschland leben. Kultur und Ökonomie profitieren, anders als uns verbohrte Rechtsgerichtete weismachen wollen, in hohem Maße hiervon. Auch erfordern Notlagen von politisch Verfolgten  oder Flüchtlingen schlicht unsere Hilfe – wir können diese Geste religiös oder einfach nur humanitär begründen. Migranten sollen also natürlich auch ihren religiösen Riten, sofern mit dem Grundgesetz vereinbar, nachgehen können. Aber die Trennung von Kirche und Staat, die für Deutschland konstitutiv ist, darf auf keinen Fall weiter gefährdet werden, auch nicht durch die zehnte Hintertür.

An dieser Stelle lohnt ein Blick nach USA , einem ethnisch und religiös viel farbigeren Land: Hier werden von verschiedensten religiösen und ethnischen Gruppen Feiertage begangen, ob es sich um jüdische oder muslimische Feiertage handelt, um den St. Patrick’s Day der Amerikaner irischer Abstammung, das Mardi-Gras-Fest in Louisiana , das einer alten französischen Tradition entstammt, das chinesische Neujahrsfest, das Oktoberfest der deutschstämmigen Amerikaner oder Kwanzaa, das Erntefest der „ersten Früchte“, das auf west- und südafrikanische Traditionen verweist und von Afro-Amerikanern gefeiert wird. Manche Feiertage werden von bestimmten Bundesstaaten anerkannt. Doch ob Ämter und Geschäfte geschlossen werden und ob die Bürger frei haben, hängt von örtlichen Gepflogenheiten ab, wird oft letztendlich privat verhandelt.

Religion hat fast immer einen nicht verhandelbaren intoleranten Kern

Wer nur mit multikulturalistischer Wohlfühl-Attitüde die „schöne religiöse Vielfalt“ bejubelt (gern noch mit dem Wort „bunt“ garniert), begeistert sich vor allem für das Wörtchen „Vielfalt“,  übergeht aber das „religiös“. Übersehen wird dabei, dass Religion, und zwar unabhängig von der Konfession, fast immer einen nicht verhandelbaren intoleranten Kern besitzt. Sonst würde es sich nicht um ein System zur Erklärung der letzten Dinge – um eine Religion – handeln, sondern nur um eine Meinung. Dagegen ist auch gar nichts einzuwenden. Schließlich lieben, hassen, streiten und trauern wir zum Teil auch auf ganz radikale, kompromisslose und vor allem subjektive Weise. Das ist menschlich, so sind wir. Und die Religion entspricht diesem Bedürfnis.

Aber wir tun dies im Privaten. Wir bekommen nicht frei an unserem Hochzeitstag und nicht frei an dem Tag, an dem das Kind vor Jahren einen Autounfall hatte, was uns immer noch traumatisiert. Wir dürfen alle unsere hitzigen und innigen Heiligtümer, im Guten wie im Schlechten, nicht mit ins Berufsleben, in die Öffentlichkeit tragen. Und das ist auch gut so.

Der säkulare Staat ist ein Gebilde, das die Interessen des Kollektivs ausgleichen soll: Das heißt, die Emotionen und die verschiedenen privaten Ideale sollen zugunsten eines austarierten, oft versachlichten Gemeinschaftsinteresses zurücktreten. Nicht ohne Grund haben Diktaturen immer private Emotionen und „Heiligtümer“ für ihre Machterhaltung benutzt. Statt mit guter, kluger Politik zu überzeugen, vereinnahmen sie die Menschen über die totale Kontrolle nicht nur ihres Außen-, sondern auch ihres Innenraums.
Religion als Privatsache zu betrachten, heißt nicht ihre Bedeutung für den Menschen zu schmälern oder gar zu negieren. Es stellt auch einen Schutzraum für sie dar. Werden Religion und Politik getrennt, gewinnen beide. Sie koexistieren, aber durchdringen sich nicht: Das genau ist ein Grundbaustein moderner Demokratien, den es mit allen Mitteln zu verteidigen gilt. Ob wir nun noch weitere nicht-gesetzliche Feiertage akzeptieren oder nicht.

© Tanja Dückers, September 2012

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