„Reisen im Kopf. Der Beitrag von Künstlern und Intellektuellen zur Integration“. In: „Wertedebatte. Von Leitkultur bis kulturelle Integration“, Aus Politik & Kultur, Band 15, Hg. Olaf Zimmermann und Theo Geißler
Die Integration von Flüchtlingen ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Dass eine Eingliederung nicht nur ökonomisch, sondern auch kulturell gelingen muss, ist dabei zweifellos unbestritten. Wie können daher besonders jene, die sich professionell mit Kunst befassen, dazu beitragen?
Um diese Frage zu klären wurde Ende vergangenen Jahres die »Initiative kulturelle Integration« ins Leben gerufen.
Erklärtes Ziel der Initiative kulturelle Integration ist es, bis zum Internationalen Tag der kulturellen Vielfalt, dem 21. Mai, ein Thesenpapier zu entwickeln, in dem dargelegt wird, wie gesellschaftlicher Zusammenhalt in Deutschland gelingen und welchen Beitrag kulturelle Integration hierfür leisten kann. Die Dringlichkeit des Anliegens kann nicht unterschätzt werden. Die Idee, Flüchtlinge vom Karneval in Köln fernzuhalten, hat wieder einmal gezeigt, dass die Entstehung von Parallelgesellschaften oft von staatlicher Seite geradezu befördert wird.
Für mich als Schriftstellerin stellt sich die Frage: Was können Intellektuelle und Künstler zur kulturellen Integration beitragen? Und wie können sie unter diesem Aspekt sinnvoll politisch agieren?
Zunächst: Es wäre der gesellschaftlich autonomen Rolle der Kunst nicht angemessen, nun einen allgemeinen Aufruf zu tätigen, nach dem Künstler und Intellektuelle heute politisch sein müssen. Paul Klee und Erich Kästner haben damals nicht im engeren Sinne politisch agiert – wir möchten ihre Werke nicht missen. Es geht darum, diejenigen, die Interesse bekunden, einzubinden, aber nicht eine neue Doktrin zu erheben und den Introvertierteren ein schlechtes Gewissen zu machen.
Künstlern und Intellektuellen, die den Wunsch haben, sich an der kulturellen Integration der vielen Neuankömmlinge zu beteiligen und sich selber auch verändern, ihren Horizont erweitern wollen, stehen nicht weniger als vier Wege offen: Sie können werkimmanent auf diese Thematik hinweisen. So haben viele Schriftsteller und Essayisten wie Feridun Zaimoglu, Emine Sevgi Özdamar, Zehra Cirak, Hilal Sezgin, Deniz Yücel, Ömer Erzeren, Seyran Ates, Aysun Bademsoy, Zafer Senocak, und Yade Kara – um nur einige zu nennen – in ihren Romanen, Gedichten, Essays und Filmen kulturelle Unterschiede und Aneignungsprozesse sichtbar gemacht. Einige ihrer Werke werden an Schulen gelesen und erreichen eine breite Leserschaft.
Der zweite Weg besteht darin, nach Deutschland geflohenen Künstlern und Intellektuellen ein Forum zu geben, ihnen zu Übersetzungen, Veröffentlichungen, Ausstellungen und anderen Formen der gesellschaftlichen Teilhabe zu verhelfen. So hat das Berliner Haus für Poesie kürzlich vier aus Syrien und Jemen geflohene Schriftsteller vorgestellt. Nun sind ihre und andere Texte geflohener Dichter in der schön gestalteten Anthologie »Weg sein – hier sein« auf Deutsch und Arabisch erschienen. Schulen und andere Bildungsträger könnten sich verstärkt bemühen, geflohene Künstler einzuladen. Natürlich ist die kulturelle Integration aller Neuankömmlinge wichtig – so hat das Museum für Europäische Kulturen in Dahlem mit »DaHeim. Einsichten in das flüchtige Leben« Asylsuchenden die Möglichkeit gegeben, eine eigene Ausstellung zu gestalten. Aber Künstler und Intellektuelle fungieren oft als Sprachrohr und schaffen ihrerseits Werke, die von einer kulturellen Annäherung zeugen und diese in den gesellschaftlichen Raum zurückspiegeln – mit selbstdynamisierender Wirkung. Das HAU, das Gorki-Theater in Berlin oder das Ballhaus Naunynstraße, um nur drei Beispiele zu nennen, haben in den vergangenen Jahren ein deutlich vielseitigeres Programm vorgelegt, in dem auch die Erzählungen und Mythen von Menschen aus anderen Kontinenten mehr Berücksichtigung finden.
Einen weiteren Weg, den Künstler und Intellektuelle in Deutschland beschreiten könnten, besteht darin und das tun viele auch schon, von ihrer Bekanntheit als öffentliche Person Gebrauch zu machen und sich in Zeitungen, Magazinen, im Rundfunk, Fernsehen und in sozialen Medien für eine plurale Gesellschaft wort- und bildstark einzusetzen – nicht nur in Form von medienwirksamen Äußerungen, sondern auch in öffentlichen Aktionen. In den letzten ein, zwei Jahren haben sich viele Gruppen von Intellektuellen und Kulturschaffenden gebildet, z. B. das aus Frauen aus Kunst, Kultur, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft bestehende Netzwerk »wir machen das«, das schon in seinem Namen Angela Merkels Slogan eine tatkräftige und optimistische Note verleiht. Das Netzwerk hat, um nur ein Beispiel zu nennen, die Veranstaltungsreihe »Begegnungsort Buchhandlung« ins Leben gerufen, bei der sich Geflohene und Alteingesessene im Rahmen von zweisprachigen Veranstaltungen im Kiez begegnen.
Der vierte, weniger medienwirksame, aber auch effektive Weg besteht darin, sich als Künstler und Intellektueller auch einfach als Bürger zu begreifen und auf der konkreten, praktischen Ebene einen Beitrag zur gegenseitigen Annäherung zu leisten: So haben nicht wenige Schriftsteller in den letzten Jahren in Sprachkursen Deutschunterricht gegeben und in Flüchtlingsheimen bei Schulaufgaben geholfen. Selbstironisch und persönlich schreibt Christiane Rösinger in ihrem neuen Buch „Zukunft machen wir später“ über ihre Erfahrungen vom Deutschunterricht mit Geflüchteten.
Es gibt eine Vielzahl von Künstlern und Intellektuellen, die sich engagieren. Wichtig ist, kulturelle Integration als einen beidseitigen Prozess zu verstehen. Integration beschreibt keine Einbahnstraße, sondern einen osmotischen, sich gegenseitig durchdringenden Prozess, der nicht nur eine Seite verändert. Die unselige, von der CDU immer wieder aufs Neue angestoßene Leitkultur-Debatte hat leider immer wieder der Annahme Vorschub geleistet, dass kulturelle Integration etwas sei, das nur von Neuankömmlingen zu leisten ist. Es geht nicht um eine Aufweichung des Grundgesetzes, nicht, wie manche befürchten, um eine Akzeptanz von menschenverachtenden Sitten, wie sie in jeder Kultur abzulehnen sind, sondern um Neugierde, um das (Fern-)Reisen im Kopf und im eigenen Land, um eine Erweiterung unseres Kanons, unserer Kultur und Gewohnheiten: um gegenseitige Teilhabe auf Augenhöhe.
Ein im Mai vorliegendes Thesenpapier zur kulturellen Integration sollte diesen Aspekt der gegenseitigen Integration berücksichtigen und vorsehen, dass die vielen, schon aktiven Gruppen von Intellektuellen und Künstlern in ihren Zielen konkret unterstützt werden – Geld ist gerade für diejenigen wichtig, die als Kunst- und Kulturschaffende oft genug in prekären Verhältnissen leben und von denen nun noch ein weiterer gesellschaftlicher Beitrag erwartet wird.
Tanja Dückers ist Schriftstellerin und Journalistin