Portrait des Berliner Aviva Verlags

veröffentlicht in Jungle World, Oktober 2002

Der Berliner Aviva Verlag kümmert sich seit fünf Jahren um die weiblichen Seiten der Kulturgeschichte.

Wir werden uns auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse sicherlich genauso langweilen wie meistens. Für das Schwerpunktland Litauen wird sich, wie so oft bei kleinen randständigen Ländern, nach den sieben Tagen Häppchen und Sekt, kein deutscher Verleger mehr interessieren. Umso besser, dass abseits des öden Trubels der kleine Berliner Aviva-Verlag sein fünfjähriges Bestehen feiert.

Aviva stammt aus dem Hebräischen, heißt (in der weiblichen Form) »Frühling« bzw. im übertragenen Sinn »Neuanfang« und »Aufbruch«. Der Aviva-Verlag hat sich dem Projekt verschrieben, Frauen in der Kunst- und Kulturgeschichte aufzuspüren, vergessene Autorinnen aufzulegen und ansprechende und bezahlbare Bücher zu präsentieren. Liest man sich durch die Rezensionen aus fünf Jahren Verlagsarbeit, hagelt es von der Süddeutschen bis zur literaturkritik.de viel Lob.

In vier Bänden wurden Pionierinnen des Surrealismus, des Dadaismus, der Neuen Sachlichkeit und Aktkünstlerinnen vom Mittelalter bis zur Gegenwart vorgestellt. Die Bände tragen so schöne und eigensinnige Titel wie: »Oh große Ränder an meiner Zukunft Hut!« Manche Künstlerinnen waren schon zu Lebzeiten anerkannt, wie Meret Oppenheim, deren »Pelztasse« zu den Ikonen des Surrealismus gehört, andere wiederum standen im Schatten ihrer Männer oder scheiterten bei dem Versuch, künstlerische Tätigkeit und traditionell weibliche Aufgaben miteinander zu verbinden.

Besonders interessant sind die beiden Bände über Kunstsammlerinnen – von Isabelle d’Este bis zu Peggy Guggenheim -, die zeigen, in welchem Maße die Sammlung von der Persönlichkeit des Sammlers selbst, seiner Herkunft, seiner Biografie, seinen privaten Erfahrungen abhängt, wie viel das Prestigeobjekt »Kunstsammlung« eigentlich als Psychogramm über seinen Initiator verrät.

Der zweite Programmschwerpunkt widmet sich vergessenen Schriftstellerinnen. Als große Wiederentdeckung kann die deutsch-jüdische Schriftstellerin Alice Berend gelten, auf deren Bücher die Verlegerin Britta Jürgs bei einem Antiquariatsbesuch aufmerksam wurde. Die »kleine Schwester Fontanes«, wie sie von dem Schriftsteller und Kritiker Kurt Pinthus genannt wurde, war Bestsellerautorin in der Weimarer Republik, verkaufte Hunderttausende Exemplare, schrieb über dreißig Romane und war eine berühmte Autorin des Hauses S. Fischer. Bis zum Jahr 1933. Ihre Werke wurden von den Nationalsozialisten auf die Liste der verbotenen Literatur gesetzt, 1935 musste Alice Berend nach Italien flüchten, wo sie drei Jahre später verarmt und vergessen starb.

Das Berliner Kleinbürgermilieu bildet für Berends Romane häufig die Folie; Witz, Situationskomik und Ironie sind die Ingredienzen ihrer komödiantischen Sittenporträts. Der nun neu bei Aviva erschienene Roman »Die Bräutigame der Babette Bomberling« wurde 1915 zum ersten Mal verlegt. Die Handlung dreht sich um die aus kleinen Verhältnissen stammende Fabrikantenfrau Anna Bomberling, die einen passenden Bräutigam für ihre Tochter Babette sucht – am besten einen, der zusätzliches soziales Prestige verheißen könnte. Doch Babette zeigt den adligen Anwärtern die kalte Schulter und verkündet, dass sie keine Lust habe, den Rest ihres Lebens als gelangweilte Ehefrau an der Seite eines Offiziers zu verbringen. Stattdessen lernt sie Schreibmaschine und Buchhaltung, um anstelle ihres wenig durchsetzungsfähigen Bruders einmal die väterliche Fabrik zu übernehmen.

Auch die Neuauflage zweier Romane von Ruth Landshoff-Yorck, der 1904 in Berlin geborenen Nichte des Verlegers Samuel Fischer, ist der Versuch, eine von Nationalsozialisten verdrängte Autorin ins kollektive Gedächtnis zurückzurufen.

Ruth Landshoff-Yorck war längst im gesellschaftlichen Leben der Weimarer Republik angekommen, als sie mit »Die Vielen und der Eine« als Schriftstellerin debütierte. 1922 spielte sie in Murnaus »Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens« mit, nahm Schauspielunterricht bei Max Reinhardt und stand zusammen mit Marlene Dietrich in Wien auf der Bühne. Ab 1927 schrieb sie für verschiedene Zeitschriften Reportagen und Kolumnen, dann stand eigentlich ihr großer »Roman einer Tänzerin« auf dem Plan. »Ich bin immer so lange treu, wie es mir irgend möglich ist!« verkündet die Romanheldin Lena Vogel – unschwer als die reale Tänzerin Lena Amsel zu erkennen – und stürzt sich ins nächste Abenteuer mit Männern und Frauen. In Berlin, Paris und Wien tritt sie auf als schillernder Paradiesvogel; doch kaum 30 Jahre alt, verunglückt die exzentrische Startänzerin tödlich mit ihrem Rennwagen. »Er begrub uns zu viel hinreißendes, junges Leben«, notierte Klaus Mann in einem Nachruf auf Lena Amsel.

Der »Roman einer Tänzerin« konnte Anfang der dreißiger Jahre nicht mehr erscheinen – die Druckfahnen erreichten Ruth Landshoff-Yorck noch, doch die nationalsozialistische Kulturpolitik verhinderte ein Erscheinen des Buches. Landshoff-Yorck ging ins Exil, zuerst nach Frankreich, dann in die USA, wo sie in englischer Sprache weiterschreiben und veröffentlichen konnte. Als sie 1966 in New York starb, war sie in Deutschland völlig unbekannt. Daran hat sich lange nichts geändert, doch nun wird der Roman auf der Frankfurter Messe vorgestellt.

Neu auf der Messe werden auch zwei Bücher über Designerinnen bzw. Architektinnen des 20. Jahrhundert sein. Von der Wiener Sozialistin Margarethe Schütte-Lihotzky, die die moderne Einbauküche erfand, über die naturbezogen arbeitende Japanerin Itsuko Hasegawa bis zu den postmodernen Entwürfen der in London lebenden Irakerin Zaha Hadid reichen die Architektinnen-Porträts. Ob Familienvillen oder Feuerwehrhäuser, Studentenwohnheime oder Wohnungen »für die alleinstehende berufstätige Frau« – die Abbildungen von Entwürfen, Grundrissen, Bauwerken oder Innengestaltungen sind vielfältig.

Das Interesse des Verlags gerade an Spuren jüdischer Kultur findet sich in dem Katalogbuch der Berliner Künstlergruppe Meshulash wieder, die mit zahlreichen Fotodokumenten und literarischen Texten vorgestellt wird.

Mit diesem Spektrum zwischen prosahaftem Sachbuch und literarischer Unterhaltung hat sich Britta Jürgs bewusst von den Programminhalten klassischer Frauenbuchverlage distanziert: »Ich charakterisiere den Verlag immer als Frauenverlag für sämtliche Geschlechter. Es ist kein Frauenverlag mehr im Sinne der siebziger Jahre. Zwar gehören Frauen zur vorrangigen Zielgruppe, da Künstlerinnen und Schriftstellerinnen im Mittelpunkt stehen, Männer sind als Leser aber ebenso anvisiert und fühlen sich auch von unseren Büchern angesprochen.«

© Tanja Dückers, Oktober 2002

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