veröffentlicht in Jungle World, 20. Juli 2007
Blick von Westen nach Osten: Eine Ausstellung in Berlin widmet sich der türkischen Metropole.
Über die Ausstellung »Urbane Realitäten: Fokus Istanbul« ist in der Öffentlichkeit schon so kontrovers diskutiert worden, dass es schwer fällt, noch unbefangen durch den Martin-Gropius-Bau in Berlin zu schlendern. Es hat bereits im Vorfeld einen Eklat gegeben, da ausgerechnet der sehr engagierte und verdiente Kurator Christoph Tannert vom Kreuzberger Künstlerhaus Bethanien – einem Ort, der sich schon immer für türkische Kunst stark gemacht hat – mit einigen Istanbuler Künstlern in Konflikt geriet. Zehn von ihnen sagten daraufhin ihre Teilnahme für die Ausstellung ab. Was hat die Eingeladenen gegen die Ausstellung aufgebracht?
Die einen hatten das Gefühl, man interessiere sich außerhalb der Landesgrenzen nur aus Imagegründen für sie. »Es kann nicht die Aufgabe des Künstlers sein, für die Türkei den Botschafter des guten Willens im EU-Beitrittsprozess zu spielen«, heißt es im Statement eines Istanbuler Künstlers. Eine Auswahl der Absageschreiben sind in der Ausstellung dokumentiert. Eng damit verknüpft ist der Argwohn, als »nationaler« Künstler wahrgenommen zu werden; d.h. in erster Linie als Türke und in zweiter als Künstler. »Ich bin Ausstellungen leid, die auf der Nationalität der Künstler basieren«, lautet das knappe und vollkommen einsichtige Statement eines anderen Neinsagers. »Die verschiedenen türkischen Künstler sehen keinen Sinn darin, ihre Arbeiten in einer Ausstellung zu zeigen, wenn der verbindende Kontext lediglich die gemeinsame Herkunft ist«, moniert der Künstler, und ein anderer kritisiert das »Fehlen eines speziellen Fokus oder Themas«.
Nachdem man die Räume mit den vollkommen disparaten Ausstellungsobjekten, die ohne erkennbare Gliederung zusammengestellt sind, endlich durchlaufen hat, fragt man sich tatsächlich, was denn eigentlich das Thema von »Urbane Realitäten: Fokus Istanbul« ist. Zu sehen sind Arbeiten verschiedenster Künstler aus aller Herren Länder – nur fünf der rund 60 Teilnehmer stammen aus der Türkei –, die sich mit »Istanbul«, »der« Türkei, »den« Türken, »dem« Nahen Osten, »dem« Orient beschäftigen.
Das kann als gemeinsamer Nenner nicht ausreichen, die Zusammenstellung wirkt willkürlich und wie zufällig. Hier stolpert man über die Arbeit eines Peruaners, der wohl auf der Durchreise in Istanbul pausierte; dort über eine Skulptur von einem ungarischen Künstlerduo. Die amorphe Skulptur der beiden Ungarn wurde aus Möbeln, die das Paar in einem türkischen Laden gekauft hat, zusammengesetzt. Die Möbel sind jedoch in keiner Weise typisch für türkische Wohnungen, sondern einfach nur Billig-Möbelhausware. Via Lewandowsky – eigentlich kein Meister der Platitüde – lässt aus einer Kuckucksuhr einen Muezzin rufen. Witzig ist das nicht.
Das Themenfeld der Ausstellung ist sehr weit gesteckt – so weit, dass man den Istanbuler Horizont nur noch bestenfalls erahnen kann. Das nichts sagende Modewort der Saison, »hybrid«, findet sich auf jeder zweiten Ausstellungstafel und wird der Stadt Istanbul übergestülpt. Wenn sich die Künstler aller Kontinente auf die Metropole am Marmara-Meer konkret beziehen, dann erwarten den Besucher klischeehafte Videos von Brücken, die den ach so kurzen Weg vom Okzident zum Orient und umgekehrt heraufbeschwören, Fotos von türkischen Geschäften, Märkten, Straßenleben. Natürlich fehlen auch ein paar türkische Prostituierte und Transen nicht, denn es soll mit dem Vorurteil aufgeräumt werden, es würden nur Kopftuch-Frauen durch die Geschäftsstraßen Istanbuls eilen.
Die geplante Ausstellung sei »randvoll mit Klischees über Ost und West, Christenheit und Islam«, formuliert ein Neinsager seine Sorge über die bevorstehende Ausstellung, und man kann verstehen, wieso er zu dieser Annahme kam. Wer schon einmal in Istanbul war, wird bestätigen können, dass die Bosporus-Brücken nicht die Stadt repräsentieren können und im Alltag ihrer Bewohner eine vergleichsweise untergeordnete Rolle spielen. Viele Bewohner der 12-Millionen-Metropole werden sie wochenlang weder sehen, geschweige denn überqueren.
Die Satellitenstädte und Vororte der Stadt sind gewaltig. Viele Gegenden bestehen eben nicht aus grandiosen Einkaufszentren, sondern aus windschiefen Häuschen, Schutt und Investruinen. Aber in den EU-Integrationsprozess passen solche Bilder nicht, man will lieber zeigen, wie »westlich« die Türkei doch ist, und merkt dabei gar nicht, wie demütigend dieser Ansatz ist.
Die Idee, eine große Ausstellung, die im weiteren Sinne »die« Türkei vorstellt, in Berlin, genauer: in Kreuzberg zu zeigen, mag gut, vielleicht auch überfällig sein – die Ausführung und vor allem Auswahl der Künstler ist jedoch wenig überzeugend. Zum Glück findet man einzelne Arbeiten, die in jeder Ausstellung, in jedem Kontext begeistern würden: Da hat Roland Stratmann eine geheimnisvolle silberne Skyline – wie von einem anderen Stern – aus Hasendraht, Aluminiumfolie und Papier konstruiert. Über den Boden flimmern Textzitate von Berliner Schülern, die erzählt haben, was sie über Istanbul wissen bzw. nicht wissen. Der Titel der Installation ist »Stein und Boden sind aus Gold« – eine Redewendung der türkischen Landbevölkerung, die ihre Vorstellung vom fernen reichen Istanbul zum Ausdruck bringt. Roland Stratmanns Arbeit handelt von dem lückenhaften Wissen und den Wunschphantasien über Istanbul, also vom imaginären Charakter der Stadt. Seine Arbeit ist vor einem riesigen Fenster positioniert, man sieht schattenhaft die zerklüftete Silhouette Berlins, womit das Thema »türkische« Stadt auf sehr eigene Weise gespiegelt wird.
Der Niederländer Marc Bijl hat mit seiner Flagge mit dem Slogan »no future, just another flag« eine amüsante Parodie auf die EU-Fahne geschaffen: Zwölf gelbe türkische Halbmonde blinken auf blauem Grund, wo sonst die EU-Sterne leuchten.
Christine de la Garenne lässt in einer großformatigen Video-Stele überdimensionierte Gebetsperlen aufeinanderprallen. Der Durchmesser einer Perle beträgt ungefähr einen Meter, und das laute Klacken der aufeinander treffenden Kugeln hat etwas ungewohnt Aggressives, Dynamisches. Durch das schlichte Mittel der Vergrößerung des Objekts bekommt eine im Islam alltägliche Handlung eine besondere Aura, ihr sichtbar geheimer »Zauber«, ihre rhythmische Magie wird fühlbar gemacht. Die strengen ästhetischen Mittel verhindern dabei eine sentimental-touristische Betrachtung.
Die Berliner Künstlerin Ina Wudke, die sich längere Zeit in der Türkei aufhielt, hat eindrucksvolle Gespräche mit Israelis, Türken und Deutschen über das Heiratsrecht in ihrem jeweiligen Herkunftsland auf Video dokumentiert. Arbeiten wie diese, die an der Schnittstelle von Soziologie und Kunst angesiedelt sind, hätte man in der Ausstellung »Urbane Realitäten: Fokus Istanbul« gerne öfter gesehen.
Die wohl beeindruckendsten Exponate stammen nicht von einem der jungen Künstler, sondern gehen auf den »Vater« der türkischen Fotografie zurück. Es sind die Schwarz-Weiß-Aufnahmen Istanbuls aus den fünfziger und sechziger Jahren von Ara Güler, der 1928 geboren wurde. Hier spürt man, dass jemand aus der Innenperspektive auf die Metropole blickt. Erzählerisch im Gestus und doch viel komponierter als die üblichen Straßenszenen-Schnappschüsse, sind die Bilder die künstlerischen Destillate einer ganzen Epoche.
Am besten, man vergisst »Fokus Istanbul« und die Mediendebatte darüber, vergisst die EU, den Orient, den Okzident und all die anderen Etiketten, Gemeinplätze und Himmelsrichtungen und konzentriert sich statt dessen einfach auf die Kunst. Tunlichst vermeiden sollte man auch, sich allzu lange im Foyer der Ausstellung aufzuhalten: Dort schlägt einem nämlich krachende türkische Discomusik zur Einstimmung auf die »laute Metropole« entgegen. Was für ein raffinierter Einfall. Istanbul ist anders.
Urbane Realitäten: Fokus Istanbul: Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin. Bis 3. Oktober 2005. Katalog: 320 Seiten, 30 Euro
© Tanja Dückers, Juli 2005