Neue Generation von Attentätern (NZZ, Juli 2016)

Drei Männer, Omar Mateen, Mohamed Lahouaiej-Bouhlel, Riaz Z., der möglicherweise anders heißt, aus drei verschiedenen Ländern, USA, Frankreich, Deutschland, haben innerhalb von nur fünf Wochen furchtbare Attentate verübt.

Ihnen gemeinsam ist, dass sie keinen ausgeklügelten Masterplan besaßen, kein Ingenieursstudium (wie noch die Terroristen vom 9. September) und auch keine tiefgreifende ideologische Fundierung. Eher scheint ihre psychische Disposition sie anfällig für eine Art Fast-Food-Ideologisierung im Schnell-Durchlauf gemacht zu haben. Keiner war als besonders religiös in Erscheinung getreten, die beiden erstgenannten tranken Alkohol und lebten promisk. Mindestens einer von ihnen suchte erotische Kontakte mit anderen Männern. Im Kernland des IS würden sie sofort an die Wand gestellt werden.

Die Terror-Ingenieure vom 9. September hingegen ließen sich zum Teil in Camps in Afghanistan ausbilden. Mohammed Atta, Sohn eines ägyptischen Rechtsanwalts, besaß ein Architektur- und ein Ingenieursdiplom und erwarb zudem eine Berufspilotenlizenz. Die neue Generation an Terroristen macht das mangelnde technische Know How eher mit psychologischen Defiziten wett. Der aus Würzburg stammende Politikwissenschaftler Peter R. Neumann brachte den Begriff der Proletarisierung des Dschihads auf, einer Art Light-Variante für Mitläufer, die jedoch leider nicht weniger Opfer produziert.

 

Tatsächlich hat sich der IS unlängst in einem Aufruf an den Otto-Normal-Migranten oder Migranten-Sohn in westlichen Ländern gewendet und ihn zum „Kampf“ aufgefordert. Nun haben sich Ungebildete und Kleinkriminelle aus den abgehängten migrantischen Milieus in Nizza, Paris und Brüssel aufgemacht und offenbar geglaubt, ihrem verpfuschten Leben noch einen tieferen Sinn geben zu können. Mit Blick auf die letzten Monate muss man konstatieren: Die Hemmschwelle, als einzeln agierender Terrorist in Erscheinung zu treten, scheint merklich gesunken. Die Gründung einer komplexen konspirativen Zelle ist nicht mehr nötig, Voraussetzung ist vor allem eine Persönlichkeitsstruktur, die zum Morden und zum Verzicht auf das eigene Leben befähigt.

Omar Mateen galt als psychisch labil, von seiner Ehefrau wurde er als manisch-depressiv beschrieben, Lahouaiej-Bouhlel schon im Jahr 2004 von einem Arzt als psychotisch eingestuft. Der erst siebzehnjährige Attentäter aus dem Regionalzug in Bayern ist der bislang jüngste Gewalttäter. Nach derzeitigem Erkenntnisstand soll der zuvor als ruhig und friedlich beschriebene Teenager einen Tag von seinem Attentat, vom Tod eines guten Freundes in Afghanistan erfahren haben. Womöglich war dieser psychische Schock Mitauslöser der Tat. Nach Auskunft der Pflegefamilie, bei der er seit Kurzem lebte, verhielt er sich „anders“ nach dieser Nachricht.

Wenn der Dschihad nun eine Richtung eingeschlagen hat, nachdem beinahe jeder, der, nicht frustriert ist, nicht groß am Leben hängt und ein paar Ideologieversatzstücke verinnerlicht hat, zum Terroristen mutieren kann, dann ist ein hoch gefährliches Stadium erreicht.

Die islamistische Ideologie kann bei denjenigen, die sich überflüssig und ihres Selbstwerts beraubt fühlen, zu einer Möglichkeit werden, die eigenen Problemlage zu „theoretisieren“, ihr einen Sinn und Struktur zu geben, und den Aspekt der Selbstverantwortlichkeit auszuklammern.

Mit ein paar sozialtherapeutischen Maßnahmen und ein bisschen mehr anständigen Wohnungsbau in hässlichen Vororten wird man dieser Problematik nicht so schnell beikommen können. Auch wenn die Attentäter von Orlando und Nizza jeweils Beispiele für „home grown terrorism“ sind und der Afghane oder Pakistani, der mit einer Axt auf Fahrgäste einschlug, der erste bislang bekannte gewalttätig gewordene Flüchtling ist: Experten haben schon lange vor solch einem Szenario – vor orientierungslosen, leicht ideologisierbaren jungen Flüchtlingen – gewarnt. Im Fokus von Sicherheitsbehörden stehen seit einiger Zeit Anwerbeversuche islamistische Organisationen in Sammelunterbringungen.

Natürlich darf nicht pauschalisiert werden: Die absolute Mehrzahl der Flüchtlinge empfindet Terrorakte wie die von Orlando, Nizza oder Würzburg als genauso abscheulich wie Einheimische. In der Arbeit mit Flüchtlingen hat man es hauptsächlich mit Menschen zu tun, die sich bemühen, schnell Deutsch zu lernen, Fuß zu fassen. Viele sind traumatisiert und leiden im Stillen. Aber es gibt, das wissen Helfer immer wieder zu berichten, auch nicht wenige junge Männer, die mit unrealistischen Erwartungen in den Westen kommen. So berichtet eine Helferin aus dem Raum Köln-Bonn von jungen Flüchtlingen, die fragen, wo ihr Auto, ihr Haus und eine Frau für sie bleibt. Solche Versprechungen wurden ihnen von Schleppern gemacht. Die Fallhöhe bei Erwartungen, die in keiner Weise der Realität entsprechen, ist groß. Die Bereitschaft, Selbstverantwortung zu übernehmen, ist oft niedrig. Gerade für junge Männer wurde zuhause oft alles geregelt, von Haushalt über Wahl der zukünftigen Ehefrau. Da ist nicht nur der Boden in Form von Heimat unter den Füßen gezogen worden, sondern ein gesamtes Weltbild, ein Lebensstil, ein Umsorgt-Werden und ein Gefühl von Stärke. Eine abgeschwächte Variante davon kann man zum Teil in südeuropäischen Ländern beobachten, wenn junge Männer ewig im „Hotel Mama“ wohnen und mit Ende 20 nicht in der Lage sind, eine Stromrechnung zu bezahlen.

Flüchtlingshelfer, die erwarteten, in der Kleiderkammer und in der Essensausgabe zu arbeiten, sehen sich plötzlich mit Problemen konfrontiert, die sie nicht stemmen können. Laien können keine Psychologen und Traumatologen ersetzen und nicht immer die notwendige kulturelle „Transfer-Übersetzung“ übernehmen. Und auch sie sind nur Menschen. Wenn junge Männer sich weigern, die Einkaufstaschen mit den Lebensmitteln – für sie – zu tragen, kann einer älteren Dame auch schon mal der Kragen platzen.

Eine Möglichkeit könnte darin bestehen, gut integrierte ehemalige Flüchtlinge als Bindeglied zwischen Neuankömmlingen und Einheimischen einzusetzen, als Kulturvertraute, die schon eine Verwurzelung im neuen Land erkennen lassen. Und: Nur ein Dach über dem Kopf und Nahrung kann bei Asylverfahren, die sich endlos in die Länge ziehen, nicht ausreichen. Erst nach erfolgter Asylbewilligung besteht Anspruch auf Förderprogramme. Dass bislang kein überzeugendes Konzept entwickelt worden ist, um junge Asylantragsteller von der Straße zu holen ist ein schlimmes Versäumnis – nach der großen humanitären Geste, mit der Hunderttausende ins Land gelassen wurden.

 

 

 

 

 

 

© Tanja Dückers, Bad Honnef, im Juli 2016

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