Luxusgut Kind (ZEIT Online, 14. März 2011)

Heute bekommen vor allem zwei Bevölkerungsgruppen viele Kinder: Die sogenannten Unterschichtler und – das ist neu – die Gutverdiener. Man zeigt, was man sich leisten kann.

Die neuen Mütter und Väter, die lässig mit Latte Macchiato in der Hand den Kinderwagen durch Berlins Prenzlauer Berg (gern Pregnancy Hill genannt) schieben, sind längst zum Klischee geworden. Nicht ohne Grund: Denn Kinder fungieren zunehmend als Statussymbol. Unter Gutverdienern hat sich im Vergleich  zu den achtziger und neunziger Jahren (Dekaden, in denen andere Symbole Statuscharakter hatten Kinder jedenfalls nicht) der Trend zu mehreren Kindern durchgesetzt: Man zeigt, was man sich leisten kann.

Vorreiter finden sich allerorts in den Medien: Heidi Klum (vier Kinder), Madonna (vier Kinder) und Angela Jolie (sechs Kinder) verbinden Reichtum mit einer fröhlichen Kinderschar und machen aus dem einst selbstverständlichen Akt des Kinderkriegens und -Aufziehens eine Shownummer, ein Spektakel.

Nicht erst, seitdem sich Angelina Jolie oder Heidi Klum stolz mit immer neuen Babys zeigen, gelten auch unter den Gutsituierten neue Maßstäbe. Kinder verbinden die Karriere mit den viel beschworenen postmateriellen Werten. Aber „postmateriell“ fühlen und handeln können nur diejenigen, für die das Materielle mit einem „post-“ apostrophiert werden kann, für die sich die Mühen um eine materielle Lebensgrundlage als überwundenes Problem darstellt.

Für die Mittelschicht wird das Kinder-Aufziehen aufgrund der Anforderungen des flexibilisierten Arbeitsmarktes und der schwierigen ökonomischen Situation zunehmend zum Luxusunterfangen in  dieser Bevölkerungsschicht finden sich vermehrt Kinderlose oder Paare mit einem Kind.

Berufliche Flexibilität und Mobilität werden in einer globalisierten Ökonomie und in Zeiten der Krise immer stärker vorausgesetzt – doch diese Anforderungen des Arbeitsmarkts vertragen sich schlecht mit einer konstanten Familienplanung. Maßnahmen wie die Lockerung des Kündigungsschutzes und Honorarverträge statt Festanstellungen verunsichern junge Paare überdies und schaffen keine langfristige Perspektive für die Vereinbarkeit von Arbeit und Kind(ern).

Deshalb bekommen im Moment vorwiegend zwei sozioökonomische Gruppen (viele) Kinder: Die, die sich’s leisten können, weil sie viel Geld haben und die, die sich’s leisten können, weil sie viel Zeit haben: die sogenannten Unterschichtler, für die sich „Karriere“ als Pendant zu „Familie“ gar nicht darstellt.

Tatsächlich sind im vergangenen Jahr knapp ein Viertel aller Frauen zwischen 40 und 44 Jahren kinderlos geblieben. Vor zehn Jahren waren es noch 16 Prozent. Die einfachste Erklärung lautet, dass Frauen mittlerweile lieber Karriere machen wollen statt am Wickeltisch zu stehen. Doch neue Studien belegen, dass es vor allem Männer sind, die sich keinen Nachwuchs wünschen. Umfragen zufolge will derzeit jeder vierte junge Mann auf eine Familiengründung verzichten, weil er sich ökonomisch verunsichert fühlt.

Dazu passt, dass es gerade auch für Hochqualifizierte schwieriger wird, einen Job zu finden. Nach einer aktuellen Untersuchung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) schnellte die Zahl der arbeitslosen Abiturienten innerhalb eines Jahres um fast 25 Prozent in die Höhe. Wer gut ausgebildet ist, hat zwar immer noch wesentlich bessere Chancen. Die Arbeitslosigkeit unter Geringqualifizierten ist immer noch fünf Mal höher als unter Akademikern.

Die Studie zeigt allerdings, dass es auch für Hochschulabsolventen alles andere als einfach ist, die begehrten Jobs zu ergattern. Und selbst, wer es geschafft hat, muss mit der Angst leben, bald wieder auf der Straße zu sitzen. Die meisten Unternehmen entlassen bei Personaleinsparungen gerade die jungen Angestellten – die, die oft keine Festanstellung haben, die keine Ansprüche geltend machen können.

Kein Wunder also, dass nur wenige den Durchbruch schnell ins etablierte Bürgertum schaffen, mit Eigenheim und Audi vor der Tür – und Kinderhorde hinter ihr. Doch ausgerechnet die Gutsituierten dienen derzeit als Role Modell für die Familienpolitik – für sie wurden in der jüngsten Vergangenheit finanzielle Anreize zur Nachwuchsplanung gegeben.

Dabei müsste eine effiziente Familienpolitik vor allem auf die Mittelschicht setzen. Diese zahlenmäßig größte Bevölkerungsgruppe hätte am ehesten einen Einfluss auf die demografische Entwicklung. Doch das Elterngeld nützt vor allem denjenigen, die es schon weit gebracht haben und den vollen Satz – 1800 Euro beziehen können.

Die Höhe des Elterngelds berechnet sich am vorherigen Einkommen, 67 Prozent davon werden in den beantragten Monaten ausgezahlt, höchstens 1800 Euro. Den Geringverdienern, oftmals zählen gerade junge Leute im biologisch besten Alter für die Familiengründung hierzu, nutzt es indes wenig. Sie können es sich nicht leisten, über einen längeren Zeitraum auf über 30 Prozent ihres Einkommens zu verzichten.

Das von der neuen Regierung für 2013 diskutierte Betreuungsgeld (das unabhängig von der Höhe des Einkommens der Eltern vergeben werden soll) setzt ebenfalls falsche Impulse: Für die Gutverdienenden ist die  Kopfpauschale irrelevant. Für die Unterschicht-Frauen wird der Herd zum Lebensmittelpunkt, denn verzichten sie auf den Kitabesuch des Kindes, verringert das die Chance auf beruflichen (Wieder-)Einstieg – oder, im Falle von Migrantinnen, auf eine aktive Integration in die hiesige Gesellschaft. Daheim am Herd erfolgt sie zumindest nur selten.

Mit dem  nun geplanten Pro-Kopf-Betreuungsgeld wird sich an der absurden Situation des Luxusguts „Kind“  in einem der reichsten Länder der Welt wenig ändern.

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