Luftpost

Gedichte
Tropen Verlag, Köln 2001

Klappentext: Luftpost

Tanja Dückers ist eine verbale Streunerin im urbanen Raum, den Blick stets geschärft für skurrile Situationen und mit allen Sinnen offen für Inspirationen. Die zwei gegensätzlichen Metropolen Berlin und Barcleona, zwischen denen die Autorin in den letzten Jahren unzählige Male hin- und herreiste, bilden die Spannungspunkte von „Luftpost“.
Orte in Dückers Heimatstadt Berlin werden zum Gegenstand der poetischen Betrachtung: die eigene Wohnung mit dem morgendlichen Straßenlärm, kranke Großstadttypen in der U-Bahn, Unentschlossenheit im Supermarkt, die Charitße, der Alexanderplatz, die neue (inszenierte) Mitte.
Barcelona und Katalonien sind Schauplätze des zweiten Teils. Er handelt von mediterranem Sich-Treibenlassen, flüchtigen Kontakten, vom Eintauchen in eine andere Sprache und von einer Stadt, die ebenso hermetisch und provinziell wie möndän ist. Fieberhafte Eindrücke von Neuem und Fremden, Verse, die vom intensivem Erleben des Augenblicks zeugen.
Tanja Dückers literarische Streifzüge führen abschließend in unterschiedliche Gegenden der Welt. Tokyoter Schaufenster, finnische Wälder, Zugfahrten in Asien oder in namenlosen Flufhäfen eingefangene Bilder liefern Mosaikstücke, vermengt mit Erinnerungssplittern an Freunde, Geliebte und Reisebekanntschaften.

Leseprobe: Luftpost

Weiße Hälse

Die  weißen Hälse der Flugzeuge
Gänse mitten im Hof der gotischen Kirche
Palmenblätter mit Rauhreif am Morgen
deren Herzen man nachts alleine
auf der Straße essen kann
Ein rostig-rosafarbener Himmel
der die Häuser und Gesichter färbt
im Spiegel auf mich zurückfällt
tägliche unvermeidbare
Verführung Die fleischfarbene Stadt
mit ihren vielen Schimpfwörtern
die rostigen Stimmen schnarren
die Großstadtgänse scheißen
auf den erleuchteten Himmel
gespiegelt in ihrer Lieblingspfütze
Das Meer und die Berge schieben
die Menschen eng zueinander
und sie verführen sich
mit leise gemurmelten Schimpfworten

Barrio Gotico

In der römischen Stadt leben wir
mit geradem Rücken
bis über den Bauchnabel reichen die Schatten
das Kinn ragt ins Licht
wir wollen uns nicht ändern wir schimpfen
über alles und nichts
tunken unsere Füße ins Wasser
das immer zwischen uns sein wird
das Wasser auf dem wir unsere Schiffe
aussetzten wie Käfer
mit dem wir unsere Stirnen kühlen
das uns doch
hinter dem Rücken die Mauern zerfrißt
Die Hände mit denen wir die Luft zerschneiden
am Abend schlaff in Weihwasser getunkt
unsere Worte die immergleiche Sprache
Haus   Stadt   Mauer
Mann   Frau  Tod
unsere Hände aus Stein für immer
starren wir uns an
die Erregung noch in den geglätteten Wangen
wenn wir unsere Torsi
einmal um sich selbst
drehen und drehen

Leise  rinnt der Sand zwischen die Finger
der Schmerz war im Stein gebannt.

Mehrsprachige Tomaten

Es gibt keine Sprache mehr
drei verschiedene haben wir ausprobiert
und Worte erfunden die nachts
zu unseren Füßen hockten

Ich lache und drehe mich schnell um mich selber
bis mir schwindelig wird und ich Tag und Nacht
oben und unten dich und mich verwechsele
– so schnell so betrunken –

Nachts singe ich im Schlaf so schräg
wie mir der Mund steht
morgens gähne ich
so weit  so tief so hoch
daß Tomaten in drei Sprachen hineinpassen
Mittags
bäume ich mich auf unter der Sonne
die meine mühselige Schrift aus Schokolade
langsam in sich hineinfraß

Was  bleibt ist die Wasserkanne
unsere ungezählten Finger
das Brot das ich nicht richtig schneiden kann
und Träume von Reisen
in noch fernere Länder

Frachtschiff

Plötzlich am Mittelmeer
vom Hafen gekommen die Koffer
voller brandenburgischem Sand
In einer verschachtelten Wabe
den Kopf hingelegt
Stimmen schwappen hinein von draußen
als würde es diese dicken Mauern
nicht geben
die Mauern auf die nachts mein Blick fällt
halbstündliches Hochschrecken
dein Gesicht flüchtig
aufgefangen auf der Strasse
eingetaucht in meinen Schlaf

Ein Frachtschiff   fremde Flagge
fährt durch meinen Kopf
auf offene See …

(unser Anfang)

Die  langsame Sprache für Antoni Tapies

Die langsame Sprache
Flußbettsprache einer Zunge
in einem anderen Mund
langsames Umhöhlen
gründlich und naß
das Herz   das ich nicht kenne
nie gesehen mein Herz
ein Komet flüchtig   eingetaucht in meine Brust
flüchtig mein schweres Kolibri Kilobri Herz
dahin    von dort
wo der Pfeffer wächst

Reibe das Feuer langsam auf die Zunge

Nach oben scrollen
WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner