veröffentlicht in Cicero, Juni 2007
Renate Künast
Auf der Berliner Veranstaltung der Grünen zum Weltfrauentag hat Renate Künast der Bühne den Rücken gekehrt. Dort versucht ein Duo aus einer Sängerin und einer Pianistin die Geschichte der Emanzipation Dekade für Dekade kabarettistisch nachzuspielen. Über die Qualität der Darbietung läßt sich streiten. Es gibt Momente, in denen ich mir insgeheim wünsche, die Frauenbewegung hätte weniger viele Jahrzehnte auf ihrem Buckel, aber es sind ja nette Damen da, mit denen man sich unterhalten kann. Zum Beispiel Frau Künast. Beim ersten Anblick eines Menschen schießt mir immer sofort ein Bild durch den Kopf. In diesem Fall: Springteufel. Renate Künast hat etwas Dynamisches, ja etwas geradezu ungebärdig nach außen Strebendes an sich – insofern kann man ihre Frisur nur als kongenial bezeichnen. Auch von einer Wunderkerze hat sie zweifellos etwas an sich. Springteufel oder Wunderkerze, es ist klar, am heutigen Abend wird Politik nicht hinter, sondern vor den Kulissen gemacht. Katrin Göring-Eckart, Claudia Roth und Renate Künast (Erste: Stützpfeiler, filigran, aber erstaunliche Gewichte tragend, Zweite: Leucht-Globus, mit leichtem Wackelkontakt) sind es, die, gern in intim anmutenden Gesprächen unter 4-8 Augen, die eigentliche Bühne bespielen. Während ich mich mit der jungen Politikerin in gestreiftem T-Shirt unterhalte, vergesse ich, es mit einer Einundfünfzigjährigen zu tun zu haben. Die studierte Sozialpädagogin und Juristin Künast hat von unten angefangen; vor dem Jurastudium hat sie sich zwei Jahre als Sozialarbeiterin in der Justizvollzugsanstalt Tegel verdingt. Vielleicht hat sie noch aus dieser Zeit ihre auffällig knappe Diktion. Üblicherweise dienen kurze Sätze der Komplexitätsreduktion, leider oft mit Inhaltsamputation als Kollateralschaden. Doch Renate Künast gehört zu den wenigen Politikern, denen es gelingt, wirklich nur die unwichtigen Worte auszulassen und somit ihr eigentliches Anliegen zu betonen. „Energiesparlampe statt Rotwein: Geschenktipps von Renate Künast“ (auf der Website der Grünen) ist ein Beispiel. Nicht drumrum geredet wird auch in ihrer jüngsten Publikation: „Warum die Deutschen immer fetter werden und was wir dagegen tun müssen“ lautet der Titel. Ein anderer hätte wenigstens „dicker werden“ geschrieben. Renate Künast schnörkelt nicht. Auf ihre Initiative wurde das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten umbenannt in Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Ich finde es sehr beruhigend, das Wort Verbraucherschutz an erster Stelle der Belange eines Ministeriums zu wissen. Während Renate Künast weiter mit dem Rücken zur Bühne spricht, wandern ihre Augen an die Decke über uns. Ein anderer würde gucken, wer sich denn heute unter den Gästen befindet, eruieren, wo man noch Handshaking machen kann, aber Renate Künast guckt beim Sprechen hin und wieder einfach nur an die – sehr hohe – Decke dieses Raums im Auswärtigen Amts. Und steht dabei doch mit beiden Füßen sehr fest in ihren Turnschuhen.
© Tanja Dückers, Juni 2007