Kunst als öffentliches Gut? Die neue prekäre Stellung des Künstlers (Frankfurter Hefte, Nr. 7/8, 2012

veröffentlicht in Frankfurter Hefte, Nr. 7/8, 2012

Wurden die Begriffe „Bürger“ und „Künstler bis in Thomas Manns Zeit meist als Gegensatzpaar gedacht – noch in den 1960er Jahren verstanden sich Letztere vornehmlich als Rebellen – so werden Künstler heute von der Deutschen Bank und vom Bundestag hofiert, ihre Werke finden sich finden Keimzellen der Macht wieder. Auf der anderen Seite wird künstlerische Autorenschaft in Zeiten digitaler Vernetzung in Frage gestellt. In der Kreditwirtschaft ist einiges in Bewegung geraten.

Wenn man das Verhältnis von Kreativen und Politik in Deutschland betrachten möchte und die Frage stellt, was sollten Kreative heute von der Politik einfordern, muss zunächst festgestellt werden, dass der Künstler in den letzten Dekaden von einer gesellschaftlichen Randexistenz geradezu in die Mitte der Gesellschaft katapultiert wurde. Waren die Begriffe „Bürger“ und „Künstler“ noch vielleicht bis Thomas Mann meist als Gegensatzpaar gedacht, noch in den Sechziger Jahren verstanden sie sich vornehmlich als Rebellen, so werden Künstler heute von der Deutschen Bank und vom Bundestag hofiert, ihre Werke finden sich in den Keimzellen der Macht wieder. In einer postindustriellen Gesellschaft, in der ständig „weiche Werte“ betont werden, hat die Politik die Künstler und die Kreativwirtschaft längst für sich entdeckt. Die Bundesregierung deklariert die „Kultur- und Kreativwirtschaft“ zur Wachstumsbranche schlechthin. Mit einer Bruttowertschöpfung von 63 Milliarden Euro und einer Million Beschäftigten im Jahr 2008. „Ihr Bruttoinlandsprodukt von 2,6 Prozent ist höher als das der chemischen Industrie“, rechnete Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) vor. Der Staat hat die Kreativwirtschaft längst für die Eigenwerbung entdeckt. In den letzten Jahren gab es viele Beispiele –  das Desaster der Love Parade war das Groteskeste – für die hohen Risiken und zu großen Hoffnungen, die Stadtverwaltungen in Kultur-Prestigeobjekte setzen: Die Hamburger Elbphilharmonie ist auch so ein ehrgeiziges Projekt, an dem sich die Stadt überhoben hat – die Kosten sind dreimal so hoch wie anfänglich projektiert. Die Endlosdebatte um den Wiederaufbau des Berliner Schlosses ein anderes.  Zu Recht haben Künstler und Kreative in Hamburg gegen die Instrumentalisierung ihrer selbst durch die Stadt demonstriert. Zumal neben der medial zur Schau gestellten staatlichen Investition in einige wenige Prestigeobjekte unter der Hand Kürzungen in allen möglichen weniger nach Spektakel riechenden Kulturbereichen stattfinden. Während Hamburg sich „neu erfand“ und  sich ein Image als frische, junge, moderne Kulturstadt (und nicht mehr als traditionsverbundene, pragmatisch-hanseatische Handelsstadt) zuzulegen bemühte, ist der Kulturetat zeitgleich sogar gesunken. Während Bibliotheken, Museen, Kultureinrichtungen und Literaturhäuser weniger Geld zur Verfügung haben (ein konkretes Beispiel soll genügen: die Zahl der Lesungen ist in Deutschland innerhalb von zehn Jahren um Zweidrittel zurückgefahren worden), wird der weiche Wert Kultur propagiert. Wenn sich ganze Bundesländer derzeit mit dem Bild der gütigen Kulturförderer schmücken, muss ein Blick auf aktuelle Zahlen geworfen werden: Für Kultur gibt Deutschland 0,34 % des BIP aus, Tendenz sinkend, für militärische Zwecke 1,4 %. Rein numerisch nach seinen Staatsausgaben her betrachtet ist Deutschland immer noch eher eine Nation der Richter und Henker als eine der Dichter und Denker.  Die Politik muss das Verhältnis von lautstarker Eigenbewerbung mittels der Kultur bei gleichzeitiger Abwertung derselben unbedingt korrigieren.

Freiheit, nicht Freibier

Ein weiterer brenzliger Punkt zwischen Kunst und Politik ist die seit Monaten heiß diskutierte Frage nach dem Urheberrecht, nach dem Schutz des geistigen Eigentums, der Produktion und Distribution von künstlerischen Werken im digitalen Zeitalter. Die Vorstellungen, die die Piratenpartei derzeit hierzu äußert, sind für Künstler und Kulturschaffende grotesk – Künstler und andere Kreative können nur hoffen, dass diese Partei nach einem kurzfristigen Höhenflug bald wieder zum Sinkflug antreten wird. Die Piratenpartei fordert bekanntlich die Aufhebung des Copyright-Schutzes.

Kein Zahnarzt würde umsonst bohren, kein Bäcker unentgeltlich backen, doch die fehlende haptische Qualität lässt geistiges Eigentum wertfrei erscheinen. Der Regisseur und Schauspieler Simon Verhoeven („Das Wunder von Bern“, „Vernunft und Gefühl“, „Mogadischu“) brachte dies in einer Podiumsdiskussion auf den Punkt: „Ein Auto fährt man, ein Steak isst man, ein Lied hört man, einen Film sieht man – die Nutzung ist unterschiedlich, aber einen Wert, der honoriert werden muss, haben alle diese Dinge“. Den Begriff der „Freiheit“ verwenden die Piraten und ihre Anhänger auch gern inflationär und ungenau. „Freiheit“ bedeutet nämlich nicht „Freibier“. Verhoeven hat das ungute Gefühl, die Piraten hätten „eine Philosophie, die aus einer technologischen, kalten Diebstahlmentalität entstanden ist.“ Übertüncht wird sie mit romantisierenden Netz-Ausdrücken wie „Tauschbörse“ oder „mit Freunden teilen“: Doch wer seine files mit 200.000 Leuten teilt, kann bei diesen nicht mehr von seinen „Freunden“ sprechen.

Nach Ansicht der Piratenpartei reicht es, dass Künstler und Kreative ihr Kunstwerk im Netz „bewerben“ zu können (so schönreden sie das kostenfreie Downloaden). Reine Promotion soll den Honorar-Totalausfall kompensieren. Die rapide sinkenden Einnahmen in der Film- und Musikindustrie sprechen eine andere Sprache.

Auch das Argument der Piratenpartei, dass die Kreativen bei der Erschaffung ihrer Werke von allen möglichen Einflüssen und Quellen profitiert hätten und nun ihr Werk der Öffentlichkeit ohne Vergütung „zurückgeben“ könnten, ist absurd. Dann müsste jeder Wissenschaftler, jeder Lehrer, Anwalt und Politiker, natürlich auch Ärzte und andere, ebenfalls auf honorarfreier Basis arbeiten, denn auch ihr Wissen generiert sich zu einem Großteil aus schon vorhandenem Wissen und ist nicht nur  als isolierbare Einzelleistung zu bewerten.

Urheberrecht reformieren

Die Möglichkeiten, die das Netz zur Vervielfältigung gibt, können nicht das Menschenrecht auf Urheberrecht (ist im Grundgesetz verankert) ersetzen. Technologische Machbarkeit kann nicht gegen Menschenrechte ausgespielt werden. Doch der Abgeordnete der Piratenpartei, Christopher Lauer, argumentiert: „Wir leiten viele unserer Forderungen aus den technischen Gegebenheiten des Netzes ab. Die stehen für uns wie Naturgesetze.“ Doch das Internet ist menschengemacht, seine Gegebenheiten sind keine Naturgesetze. Nach dieser Logik hätte man nach der Einführung der Guillotine die Gefängnisse abschaffen und alle Gefangenen umbringen lassen können, weil dies ja nun so schnell und einfach vonstatten geht. Allerdings muss das Menschenrecht auf Urheberrecht immer wieder gegen ein anderes Menschenrecht, nämlich das auf kulturelle Teilhabe, austariert werden. Und: drakonische Strafen für das Herunterladen eines Songs oder eines Films sind vollkommen unangemessen, zumal sie meist sehr junge Menschen treffen.

Es ist im übrigen nicht so, als ob technische Neuerungen nicht durchaus elastisch auf die Gesetzeslage rückgewirkt hätten – beim Aufkommen der ersten Kopierer, Xerox-Maschinen und Videorekorder wurde die Speichermediengesetze etabliert. Technische Errungenschaften dürfen unsere Rechtsprechung nicht dominieren, bedürfen aber einer gewissen Reziprozität in der Legislative.

Das derzeitige Urheberrecht ist unbedingt reformbedürftig, weil sich, wie der Harvard-Kulturwissenschaftler und Netzaktivist Lawrence Lessig sagt, in einem digitalen Medium das Urheberrecht nicht mehr über die Beschränkung der Anzahl von Kopien durchsetzen lasse. Original und Kopie sind zudem identisch geworden, die Zeiten rauschender Mixkassetten sind vorbei. Von Seiten der Politik sind auch hier klare Maßnahmen gefragt. Die Politik muss eine vernünftige Novellierung des Urheberrechts vornehmen, muss ein Pauschalmodell ersinnen, das einigermaßen verlässlich und fair für Urheber, Verwerter und Nutzer funktioniert.

Die bislang sinnvollste Idee kam von den Grünen: das Modell der Kulturflatrate. Doch man muss sich fragen: Wer profitiert von den Ausschüttungen? Jeder Hobbyfilmer  kann hochladen, was ihm beliebt. Wird der Rentner, der auf Youtube einen Hamsterfilm zeigt, auch von der Kulturflatrate profitieren? Die Piraten in Gestalt ihres Mitglieds Bruno Kramm haben eine klare Antwort darauf gegeben: Ja.

Auch wenn man nicht der Elitisierung Wort reden möchte: Die vollkommene Auflösung des Berufs Künstler (alle sind Künstler, niemand ist Künstler) ist sehr problematisch und vernichtet langfristig die Lebensgrundlage derer, die nicht nur Hobbies nachgehen, wenn sie dichten, filmen, Regie führen, komponieren, choreographieren.

Wenn sich Deutschland immer noch als Land der Dichter und Denker feiert und  zur Zeit gern mit seiner tollen Kreativwirtschaft und seinem crazy Berlin, der Welthauptstadt der Bohemiens und Kreativen, inszeniert, sollte es die Lebensbedingungen der Künstler auch angemessen verteidigen und verbessern.

© Tanja Dückers, April / Mai 2012

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