veröffentlicht im Amnesty Journal, Dezember 2013
Kakao aus konvetionellem Anbau wird überwiegend mit Hilfe von Kindern gewonnen, die unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten müssen. Allein in der Elfenbeinküste, dem größten Kakaoexporteur der Welt, arbeiten 600.000 Minderjährige in der Ernte.
Auch in diesem Jahr werden wieder viele Schoko-Weihnachtsmänner, Lebkuchenherzen, Pralinen, Kekse, Plätzchen, Printen, Dominosteine und andere Süßwaren mit Schokolade in den Adventskalendern stecken und unter den Weihnachtsbäumen liegen. Zwar spenden viele Menschen in der Weihnachtszeit Geld für Hilfsprojekte in aller Welt, doch nur wenige machen sich Gedanken darüber, woher die Schokolade auf den Gabentischen eigentlich kommt und wer dafür schuften musste.
Jeder Deutsche isst im Durchschnitt elf Kilo Schokolade pro Jahr. Damit liegt Deutschland im internationalen Vergleich nach der Schweiz und Belgien auf Platz drei, was den Schokoladenkonsum angeht. Hundert Gramm kosten in der Regel weniger als einen Euro. Dass die Kakaobauern für ihre Arbeit nicht fair entlohnt werden, kann sich jeder Käufer denken. Doch wie bei der Kleidung, die Textildiscounter in Ländern wie Bangladesch unter Missachtung jeglicher Arbeits- und Menschenrechte produzieren lassen und in Europa und den USA zu Niedrigstpreisen verkaufen, wird dies kollektiv verdrängt.
„Ein Kind kostet 230 Euro.“ Das sagt ein Kakaobauer aus der Elfenbeinküste in der Dokumentation „Schmutzige Schokolade“ des dänischen Filmemachers Miki Mistrati – als ob Kinderhandel das Normalste auf der Welt sei. „Wenn ihr meinem Bruder sagt, wie viele ihr braucht, dann besorgt er sie euch.“ Der Mann spricht über Kinder zwischen 10 und 14 Jahren, die aus Mali und anderen Nachbarstaaten entführt werden, um auf Kakaoplantagen in der Elfenbeinküste zu arbeiten.
Knapp 70 Prozent der weltweiten Kakaoproduktion stammen aus Westafrika. Die Elfenbeinküste ist der größte Kakaoexporteur der Welt. Insgesamt 1,2 Millionen Tonnen werden dort jährlich produziert. Dennoch gehört das Land zu den 20 ärmsten Staaten weltweit. Nach Angaben der Organisation Transfair arbeiten 600.000 Minderjährige unter sklavenähnlichen Bedingungen auf den Plantagen des Landes, etwa 12.000 davon kommen aus den Nachbarstaaten Mali, Togo und Burkina Faso. Der Dokumentarfilmer Mistrati, der bereits zahlreiche preisgekrönte Dokumentationen für das dänische Fernsehen drehte, hat in Westafrika zum Thema Kinderarbeit recherchiert: „Es war erschreckend einfach, Kinderarbeiter zu finden“, sagte er in einem Interview mit „Spiegel Online“: „Ich war auf 17 verschiedenen Plantagen, und überall arbeiteten Kinder.“
Mistratis Reportage „Schmutzige Schokolade“ macht deutlich, wie das Geschäft der Menschenhändler funktioniert und wie die Süßwarenkonzerne davon profitieren. Die Kinder müssen schwere Kanister mit hochgiftigen Pestiziden schleppen und damit die Felder gießen. Weil den Kindern oft kein Atemschutz gegeben wird, leiden sie unter Ekzemen im Gesicht, Ausschlägen am ganzen Körper, tränenden Augen. Auch der Umgang mit der Machete ist gefährlich und kann zu schweren Verletzungen führen. Mit der Machete werden die reifen Kakaofrüchte von den Bäumen geschlagen – eine harte Arbeit. Die Früchte werden anschließend in Säcke verladen und zu Sammelstellen geschleppt. Die Säcke wiegen um die 30 Kilo. Selbst für einen Erwachsenen eine schwere Last – für Kinder erst recht. „Viele Kinder, die sehr viele Stunden in der Woche arbeiten, haben schon von klein auf Rückenschäden“, sagt Friedel Hütz-Adams vom Siegburger Forschungsinstitut Südwind und Autor der Studie „Die dunklen Seiten der Schokolade“. Oft werden die Kinder für die Knochenarbeit nicht einmal bezahlt, sondern bekommen nur gerade so viel zu essen, dass sie nicht verhungern.
Ein Junge aus Mali berichtete der Kampagne der NGO Earth Link, „Aktiv gegen Kinderarbeit“: „Wir schliefen auf dem Boden einer Hütte aus Schlamm und Stroh. Wir durften sie nur zur Arbeit in den Feldern verlassen. Die Arbeitszeiten waren sehr hart, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, und manchmal, wenn Vollmond war, sogar bis zehn Uhr abends. Uns wurde Lohn versprochen, aber sie sagten, dass wir erst die Kosten der Reise zurückzahlen müssten. Ich habe mich dort zwei Jahre lang abgerackert, ohne jemals Geld zu bekommen. Kinder, die sich weigerten zu arbeiten, wurden mit dem Motorgurt des Traktors geschlagen oder mit Zigaretten verbrannt. Wir bekamen kaum etwas zu essen: mittags zwei Bananen, die wir aßen, ohne die Arbeit zu unterbrechen, und eine Maismehlsuppe am Abend. Einige Kinder sind vor Erschöpfung zusammengebrochen. Diejenigen, die krank wurden, wurden fortgeschafft. Wir haben sie nie wieder gesehen.“
Die Rohstoffhändler und Schokoladenproduzenten behaupten, die Kakaoplantagenbesitzer würden nur ihre eigenen Kinder mitarbeiten lassen. Dagegen könne man nichts tun. Mistrati entlarvt diese Behauptung jedoch mit Bildern aus Mali als falsch: Täglich werden entführte Kinder mit Bussen oder Motorrädern aus dem nördlichen Nachbarland der Elfenbeinküste über die Grenze gebracht. Auch ein Menschenhändler kommt in Mistratis Film zu Wort: „Die Plantagenbesitzer geben uns Geld, damit wir die Kinder über die Grenze fahren“, gibt er offenherzig zu. „Ich habe das oft gemacht.“
Im September 2001 unterzeichnete die Elfenbeinküste das Kakaoprotokoll. Es sollte gewährleisten, dass in der Kakaoproduktion auf Kinderarbeit verzichtet wird. Seitdem sind zwölf Jahre vergangen und trotz vollmundiger Versprechen der Süßwarenindustrie hat sich nichts geändert. Die im Protokoll festgelegten Fristen sind folgenlos verstrichen. Nach wie vor arbeiten Tausende von Kindern auf Kakaoplantagen, anstatt in die Schule zu gehen. Die Kinder und Jugendlichen kommen dabei selbst nie in den Genuss von Schokolade. Sie haben nicht das Geld, um sich Schokoriegel zu kaufen. Viele wissen nicht einmal, wofür der Kakao verwendet wird.
Um wirklich etwas an den Bedingungen im Kakaohandel zu ändern, müsste neben den Verbrauchern die Politik aktiv werden. In Mistratis Heimat Dänemark hat die Regierung nun einen Kodex verabschiedet, den die Schokoladenhersteller unterzeichnen müssen: Darin verpflichten sie sich, ihre Lieferanten künftig stärker zu beaufsichtigen. „Die Konzerne müssen für die Kinderarbeit verantwortlich gemacht werden“, sagt der Filmemacher.
Doch ein Verzicht auf Kinderarbeit kann die Armut der Kakaobauern verschärfen: Auch das zeigt die Studie „Die dunklen Seiten der Schokolade“. Nachdem mehrere große Lebensmittelkonzerne ihre Rohstofflieferanten ermahnt hatten, bei der Ernte auf den Kakaoplantagen keine Kinder mehr einzusetzen, gingen die Erträge der Bauern zurück. Unternehmen wie Mars, Nestlé oder Ferrero hatten den Verzicht auf Kinderarbeit gefordert, nachdem sie durch Berichte über Kinderarbeiter unter Druck geraten waren. Die Lösung liege nicht allein im Verbot von Kinderarbeit, sagt Hütz-Adams. Die Kleinbauern müssten gerechter bezahlt werden, um sich erwachsene Arbeiter leisten zu können. Faire Handelsbedingungen seien dringend erforderlich.
Wie kann man nun als Konsument in Deutschland in der Vorweihnachtszeit eine vernünftige Wahl treffen? Woran erkennt man „gute Schokolade“? Auf vielen Verpackungen ist leider nur das Herstellungs- aber nicht das Herkunftsland verzeichnet. Das Herstellungsland ist das Land, in dem die billigen Kakaobohnen zu einem teuren Schokoladenprodukt verarbeitet werden, also etwa die Schweiz oder Belgien. Das Herkunftsland ist hingegen das Land, in dem die Kakaobohnen angebaut und geerntet wurden. Wenn kein Herkunftsland auf der Verpackung steht, kommt der Kakao mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Westafrika. Damit ist auch das Risiko, dass die Schokolade mithilfe illegaler Kinderarbeit produziert wurde, sehr hoch.
Gütesiegel können bei der Kaufentscheidung helfen. Rainforest Alliance, UTZ und Fairtrade gehören zu den großen international anerkannten Gütesiegeln. Daneben gibt es weitere vertrauenswürdige Organisationen wie die GEPA, die faire Produkte vertreiben. Sie garantieren einen nachhaltigen Landbau und bessere wirtschaftliche Bedingungen für die Bauern. Das bedeutet unter anderem, dass den Bauern ein Mindestpreis bezahlt wird und dass bessere Gesundheitsbedingungen und mehr Sicherheit bei der Arbeit herrschen. Teilweise stehen die Siegel auch für soziale Maßnahmen (mehr erwerbstätige Frauen) oder für ökologische Nachhaltigkeit, zum Beispiel bei der GEPA. Nicht zu vergessen: Fairtrade schont das Klima. Beim Vergleich der Ökobilanz zwischen konventioneller und fair gehandelter Schokolade schneidet die fair gehandelte weitaus besser ab. Doch muss auch klar gesagt werden: Obwohl bei diesen Siegeln stichprobenartig auf Kinderarbeit kontrolliert wird, kann niemand wirklich garantieren, dass keine Kinderarbeit geleistet wurde.
Irreführende Siegel gibt es auch: „The Cocoa Plan“ ist Nestlés eigenes Siegel. Das entsprechende Logo setzt der Konzern immer öfter auf seine Verpackungen und macht damit Werbung für eine firmeneigene Initiative zur Unterstützung von Kleinbauern. Nestlé zertifiziert sich also selbst. Auf der anderen Seite verwenden einige kleinere, gute Edel-Schokoladen-Manufakturen kein Fairtrade-Siegel, weil sie sich den hiermit verbundenen bürokratischen Aufwand nicht leisten können, teilweise auch aus verpackungsästhetischen Gründen. Nicht jeder schätzt die bunten Logos. Sie beziehen ihren Kakao aber dennoch von fair bezahlten Kleinbauern und haben hohe Ansprüche an ethische und ökologische Standards. Verlässliche Informationen erhält man auch von der „International Cacao Initiative“ – einer Initiative der Kakao-Industrie in Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen.
Auch wenn ein verbindliches Abkommen für konventionelle Schokoladenproduzenten noch aussteht, gibt es Hoffnung: Anfang der neunziger Jahre lag der Umsatz mit Fairtrade-zertifizierten Produkten bei 50 Millionen Euro pro Jahr, 2011 betrug er bereits 400 Millionen Euro. Doch herrscht bei vielen Konsumenten noch immer eine „Geiz-ist-geil“-Haltung vor. Viele denken eher an ihren Geldbeutel als daran, unter welchen Bedingungen ein Lebensmittel hergestellt wurde. Hoffentlich setzt sich der Trend zu mehr Fairtrade-Produkten fort, auch wenn dies den Kindersklaven, die jetzt auf den Kakaoplantagen arbeiten müssen, wohl nicht mehr rechtzeitig helfen wird.
© Tanja Dückers, September 2013