Berliner Morgenpost, 2. Januar 2022
Interview mit Tanja Dückers über ihr neues Buch „Das süße Berlin“, über Schokolade, Berlin und aktuelle Politik
Das Interview führt Christine Richter, Chefredakteurin der Berliner Morgenpost
(die lange Version hiervon findet sich im Podcast der Berliner Morgenpost „Richter und Denker“)
Das neueste Buch der Berliner Schriftstellerin Tanja Dückers dreht sich um das, was süß und lecker ist – um Cafés, Konfiserien und Chocolaterien in Berlin. Über „das süße Berlin“, ihre eigene Schokolade und neue Buchprojekte hat Tanja Dückers im Podcast „Richter und Denker“ mit Chefredakteurin Christine Richter gesprochen. Ein Auszug aus dem Podcast, der in voller Länge zu finden ist unter www.morgenpost.de/podcast.
Berliner Morgenpost: Frau Dückers, Sie haben ein neues Buch veröffentlicht – „Das süße Berlin“. Was hat es damit auf sich?
Tanja Dückers: Das süße Berlin, das ist ein Kompendium vieler schöner, süßer, leckerer, köstlicher Orte in Berlin. Manufakturen, Cafés, Eisdielen – eben vieler süßer Orte, sortiert nach Stadtteilen Ost und West, Nord und Süd, Mitte und Peripherie. Ich hätte noch viel mehr schöne, süße Orte aufnehmen können. Es ist mir richtig schwer gefallen, eine Auswahl zu treffen, aber dann habe ich wirklich ein Best of gemacht, und ich glaube, es ist für jeden etwas dabei.
Sie haben eine besondere Verbindung zur Schokolade. Das weiß nicht jeder, weil wir Sie ja als Autorin, als Schriftstellerin kennen.
Das ist tatsächlich so. Ich habe schon immer, wie man so sagt, einen süßen Zahn gehabt. Ich erinnere mich noch: Zu meinem 18. Geburtstag habe ich zu einem großen Schokoladen-Brunch eingeladen. Meine gleichaltrigen Freundinnen haben damals eher zu Besäufnissen eingeladen, aber bei mir war es dann ein gepflegter Schoko-Brunch an einem Sonntagmittag. Ich habe schon damals auch in West-Berlin, wo ich aufgewachsen bin, Orte wie Erich Hamann – Bittere Schokoladen oder Sawade, Berlins älteste Pralinenmanufaktur, aufgesucht. Das waren für mich schon immer besondere Orte, dort konnte ich mich dann gelegentlich von dem knappen Taschengeld mal belohnen – etwa nach einer fiesen Mathearbeit.
Beim Brunch war dann aber allen schlecht, oder?
Alle schienen wirklich etwas überzuckert am Ende. Ich erinnere mich noch, dass meine Mutter irgendwann Buletten und Kartoffelsalat brachte und meinte: Jetzt muss es auch mal was anderes geben. Da haben sich dann sehr viele der Gäste, insbesondere die jungen Männer, auf diese Sachen gestürzt.
Hatten Sie schon immer ein Faible für Schokolade?
Ja, ich habe schon immer ein Faible für Schokolade gehabt und auch bei Lesereisen in anderen Ländern immer geschaut, was gibt es da für interessante Manufakturen? Ich war zum Beispiel in Minsk, in Belarus in einer über 100 Jahre alten Schokoladen-Manufaktur namens Komunarska. Und dann habe ich mir vor einigen Jahren einen kleinen Traum erfüllt und meine eigene kleine Schokoladen-Edition ins Leben gerufen. Preußisch süß, Berliner Stadtteil-Schokolade. Ich habe hierbei versucht, mir für die einzelnen Stadtteile den jeweils treffenden, passenden Geschmack überlegt: Wie schmeckt Kreuzberg? Wie könnte Zehlendorf schmecken oder Schöneberg?
Und, wie schmeckt Kreuzberg?
Bei Kreuzberg sage ich immer, das schmeckt wie ein Fladenbrot in Schokolade. Ich habe mich inspirieren lassen von der kulinarischen Vielfalt dort. So sind Schwarzkümmel, Sesam, Ingwer die Bestandteile der Schokolade.. Kreuzberg ist wirklich eine meine Lieblings Sorten. Und für Kreuzberg habe ich auch den Preis „Die süße Schnecke“ erhalten, der vom Verein Slow Food mit der Berliner Markthalle Neun zusammen verliehen wird – für das beste Naschwerk des Jahres in der Region Berlin / Brandenburg. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Bei Preussisch süß habe ich den Anspruch, nicht nur einen witzigen, treffenden Geschmack zu entwickeln, bei dem man denkt: Ohja, Wedding-Schokolade mit Bier-Note! Nein, die Schokolade muss nicht nur originell, sondern wirklich gut und rund schmecken – über das einmalige Geschmackserlebnis hinaus. Es muss wirklich eine qualitativ gute Schokolade sein. Das ist mir wichtig, und ich habe mit einem Chocolatier sehr lange daran gearbeitet. Ein gutes Gedicht, eine Geschichte zu schreiben ist nicht mehr Arbeit als eine neue Rezeptur zu entwickeln. Ich habe sehr viel Respekt vor dem kulinarischen Handwerk entwickelt. Auch was in Bäckereien und Konditoreien hergestellt wird, kann hohe Kunst sein.
Wie schmeckt denn Marzahn?
Marzahn, muss ich ehrlich zugeben, haben wir noch nicht.
Dann ein anderer Stadtteil: Wie schmeckt Steglitz?
Da habe ich ein paar verrückte Sachen drin für architektonische Besonderheiten wie den Bierpinsel oder den Steglitzer Kreisel. Ich habe daher bunte Elemente für die Dekoration verwendet, aber für die Schokolade selber eine eher bürgerlich-gediegene Komposition gewählt, weil ich an die Altbauten mit den Bücherregalen, die schönen Buchhandlungen, die es dort gibt, gedacht habe. Ich habe bei anderen Stadtteilschokoladen radikalere Geschmacksknospen. Friedrichshain oder Lichtenberg sind ein bisschen fordernder als Steglitz oder Grunewald. Bei Mitte habe ich für die Selbstoptimierer und Leistungsträger Aufwach- und Kurzschläfer-Schokolade mit Kaffee und Chili gewählt. Dann gibt es auch relaxtere Sorten – kindgerecht mit Vanille und Mandeln im Prenzlauer Berg, in Tempelhof gibt es natürlich Rosinen für die Luftbrücke. Ich verwende meistens vier, fünf, sechs verschiedene Ingredienzen, und nicht immer klappt die Gesamtkomposition auf Anhieb. In Tempelhof haben wir viel probiert und dann mit Waldmeister noch eine gute Komposition für das Gartenzwergig-Verschrobene des Stadtteils gefunden. Aber das ist richtig Arbeit, Gehirn und Gaumen müssen angesprochen werden bei den Kunden.
Sie haben viel Arbeit in Ihre Schokoladen gesteckt, sich dann ein Manufaktur in Brandenburg gesucht – und dann ganz schön viel Ärger. Ist jetzt alles wieder gut?
Was mich sehr freut ist, dass ich inzwischen eine kleine Berliner Manufaktur gefunden habe, die jetzt wieder meine Schokoladen so macht, wie ich mir das wünsche. Es war natürlich eine große Enttäuschung, dass die andere Manufaktur in Brandenburg mir die Zusammenarbeit plötzlich aufgekündigt hat, um unmittelbar danach ein sehr ähnliches Produkt auf den Markt zu bringen . Aber ich versuche jetzt, mich auf die Zukunft und die neuen Sorten, die ich kreieren will, zu konzentrieren.
Sie konnten Ihre Stadteil-Schokolade „Preußisch süß“ auch nicht schützen, weder den Titel noch das Cover.
Das ist tatsächlich sehr schwer, und der Grundgedanke ist auch durchaus verständlich, denn wer hätte etwa ein Patent an Spaghetti Carbonara? Rezepturen sind nicht zu schützen, viele halten sie deshalb geheim. Coca Cola macht das bis heute so. Auch die Konditorei Buchwald in Berlin, die diesen wunderbaren Baumkuchen seit 1852 macht, hat ein Familienrezept, das nicht preisgegeben wird. Aber wenn ich als Schriftstellerin hochwertige Schokolade kreiere, da brauche ich eine Manufaktur. Ich habe meine Ideen und Rezepturen aus der Hand geben müssen – und dann sind sie nicht mehr geheim.
Konnten Sie sich denn mit der anderen Manufaktur verständigen?
Das ist sehr schwierig. Das Urheberrecht ist ein komplexes Feld, und ich versuche mich jetzt einfach nicht weiter zu ärgern. Es ist wie gesagt auch nicht so einfach, Ideen wie zum Beispiel „Berliner Stadteil-Schokolade“ zu schützen. Ich komme aus dem Literaturbetrieb – und habe gemerkt, dass jenseits der gewissen Blase des Literaturbetriebs ein anderer Wind weht, Dreistigkeit nicht selten ist. Freundinnen und Freunde aus anderen Branchen haben mir berichtet, dass häufig ohne Anwalt gar nichts geht. Das bin ich nicht so gewöhnt. Ich wurde deshalb schon als Romantikerin und als Gutmensch bezeichnet.
Eine Berliner Manufaktur stellt jetzt wieder Ihre Schokolade her. Haben Sie Ihre Kunden halten können?
Größtenteils schon. Es sind auch viele neue dazugekommen. Das freut mich natürlich sehr, und ich erhalte ständig Vorschläge für neue Sorten . Dann heißt es, machen Sie doch mal eine Stadtteilschokolade für Kaulsdorf! Wilhelmsruh habe ich entwickelt, weil ich so darum gebeten wurde.
Sie haben in Ihrem Buch „Das süße Berlin“ auch Ihrer Familie gedankt, die in den Cafés die Schokoladen gekostet hat. Wie viele Kilos sind denn bei Ihnen allen drauf gekommen?
Tja, ich habe für dieses Buch über zwei Jahre recherchiert. Dünner wird man bei so etwas nicht. Unser Sohn ist schlank und rank, der spielt aber auch viel Fußball. Nach dem Buch ist auf jeden Fall bei den Erwachsenen wieder mehr Sport und weniger Kuchen angesagt.
Sie haben zwei Jahre an dem Buch gearbeitet, so lange dauert fast auch schon die Corona-Pandemie. Wie ist es Ihnen als Schriftstellerin in den letzten Monaten ergangen?
Ich habe erlebt bei der Recherche für dieses Buch, dass einige wunderschöne Cafés geschlossen wurden. Ansonsten hatte ich wiederum großes Glück, denn Pralinen-Geschäfte, Konfiserien oder Cafés konnten in Berlin während der Lockdowns geöffnet bleiben – wie ja auch Buchhandlungen. Törtchen sind also systemrelevant, und das war für mich ein großes Glück: Aber einige schöne, wirklich tolle Cafés, sind insolvent gegangen. Da hatte ich die Inhaber schon interviewt, Portraits geschrieben. Es war viel Arbeit, die ich umsonst geleistet habe.
Welche Auswirkungen hatte Corona auf Ihre Arbeit noch?
Es sind sehr viele Lesereisen ausgefallen. Ich sollte eigentlich wieder in den USA lehren. Es gibt Stipendien in den USA, die mit einem Lehrauftrag verbunden sind. Man arbeitet an einem Werk weiter, und die Uni, die einen einlädt, erwartet als Gegenleistung, dass man einen Kurs unterrichtet. Ich mache das regelmäßig in den USA und sehr gerne. Das Thema meines Kurses ist meist „Literatur aus Berlin, von Fontane bis zur Gegenwart“. Die Gegenwart schreibt sich natürlich immer weiter fort. Daher kann ich mit den Studierenden auch aktuelle Bücher, Themen diskutieren.
Wo unterrichten Sie in den USA?
An vielen verschiedenen Orten. Ich war oft in Neuengland, aber auch im Mittleren Westen oder in Kalifornien. In diesem Herbst wäre es Wisconsin, Madison gewesen. Die Universität liegt zwei Stunden von Chicago entfernt und besitzt die größte germanistische Fakultät in den USA. German Studies, Germanistik, ist in den USA ein Orchideen-Fach, aber die Studierenden, die sich dafür entscheiden, sind meist Feuer und Flamme. Die waren oft schon mal ein Jahr in Deutschland, interessieren sich wirklich für die Materie und sind unglaublich fleißig. Mit denen lese ich dann Walter Benjamin und Fallada oder ganz neue Texte. Das macht immer viel Spaß.
Spielt das Thema Pandemie auch in Ihrem literarischen Werk, in Ihrer schriftstellerischen Arbeit eine Rolle?
Bisher nicht, weil ich mich davor gescheut habe, absolut tagesaktuelle Themen aufzugreifen. Das kann etwas Sensationshungriges haben, man versucht nolens volens, einen Trend zu bedienen. Meine Vorstellung von Literatur ist eine andere. Als Schriftstellerin arbeitet man jahrelang an einem Roman, und da will und kann ich nicht der Tagespolitik hinterher schreiben. Es gibt aber Autoren und Autorinnen, die so arbeiten und das auch gut machen. Ich will mich nicht darüber erheben, es ist nur nicht mein Stil. Aber ich könnte mir vorstellen, so wie ich mich kenne als “langsamen Brüter“, dass ich später einmal etwas schreibe über diese Zeit. Im Moment arbeite ich an einem Roman, der sich mit dem Aufstieg Trumps im Mittleren Westen beschäftigt. Da war ich ja sehr viel, auch schon als Schülerin. Das ist ein Thema, das mich interessiert. Ich schreibe eigentlich eher über die Vergangenheit.
Ist es ein Roman mit dem realen Trump?
Es geht um den Aufstieg des realen Trumps, aber eigentlich um die amerikanische Gesellschaft, um die Spaltung der Gesellschaft. Die habe ich in den USA sehr mitbekommen. Mich interessiert das soziologische Fundament für solche Entwicklungen. Das finde ich wirklich spannend. Aber ich muss nicht sofort über das schreiben, was jetzt heute in der Tagesschau ist.
Und glauben Sie, Donald Trump kommt noch mal wieder?
Nein, das glaube ich nicht. Ich schätze, dass die Amerikanerinnen und Amerikaner jemand Jüngeres wählen werden. Ich glaube nicht, dass Donald Trump noch mal aufgestellt wird, aber er wird noch versuchen, viel zu stören.