Geburtshilfe lohnt nicht mehr

Hebammen werden extrem schlecht bezahlt. In Deutschland gibt es generell zu wenig Wertschätzung für Kinder, Mütter und die, die sich um sie kümmern.

Hebammen hatten nie einen leichten Stand. Sie galten zwar als weise und heilkundig, waren vielen aber durch ihre Nähe zu Leben und Tod unheimlich und erweckten Misstrauen, insbesondere von Kirchenoberen. Keine Berufsgruppe hatte zum Beispiel so unter den Hexenverfolgungen zu leiden wie die Hebammen.

Heute geht für sie weniger Gefahr von Kirche und Aberglauben aus, als von Staat und Versicherungen: Die Haftpflichtversicherungsbeiträge für Hebammen sind in den letzten Jahren rasant gestiegen: Vor 2010 betrugen sie um die 450 Euro im Jahr, jetzt 4.480 Euro. Das ist eine Steigerung um den Faktor zehn innerhalb von drei Jahren. Die letzte Erhöhung der Beiträge fand im Juli 2013 statt. Grund dafür sollen die gestiegenen Kosten für sogenannte Personenschäden sein. Gebären ist zwar in Deutschland immer sicherer geworden, aber Eltern sind selbstbewusster. Sie klagen häufiger.

Die finanzielle Last laden die Verantwortlichen nun allein dem schwächsten Glied in der Kette auf, der Hebamme. Nach erfolglosen Verhandlungen mit den Krankenkassen, die im Moment nicht gerade darben, sah das Ministerium für Gesundheit immer noch keinen „gesetzgeberischen Handlungsbedarf“. Dabei gerät der Berufsstand der Hebammen massiv in Gefahr. Die derzeitigen Versicherungssummen stehen in keinem Verhältnis mehr zu den Einnahmen: Der Deutsche Hebammenverband (DHV) hat einen durchschnittlichen Stundenlohn von 8,50 Euro für Hebammen errechnet. Mit diesem Lohn bewegen sie sich abzüglich Kosten, Sozialversicherung und Steuern fast im ehrenamtlichen Bereich. Und das hat Folgen: In Deutschland arbeiten 60 Prozent aller Hebammen freiberuflich. Seit 2009 haben gut 25 Prozent von ihnen die Geburtshilfe aufgegeben, weil sie die Kosten nicht mehr tragen können.

Alleingelassen während der Geburt

In einigen Regionen werden deshalb keine Hausgeburten mehr angeboten. Schwangere müssen, auch wenn sie in guter körperlicher Verfassung sind und keine Geburtskomplikationen erwarten, im Kreißsaal entbinden, ob sie wollen oder nicht. Doch auch die Kliniken streichen viele Hebammenstellen. Frauen müssen damit rechnen, während der Geburt alleingelassen zu werden, weil eine Hebamme mehrere Geburten gleichzeitig betreut. Beleghebammen, die „ihre“ Frauen zur Geburt in die Klinik begleiten, werden ebenfalls immer seltener.

Die schlechte Bezahlung ist auch deshalb unverständlich, weil der Beruf höchst anspruchsvoll ist. Der Hebamme wird ein Mensch im Ausnahmezustand anvertraut. Von ihrem Geschick hängt nicht selten ab, wie ein Säugling seine ersten Lebensmomente verbringt. Wechselndes oder abwesendes Personal, technische Dauerüberwachung statt menschliche Zuwendung verunsichern viele Frauen. Doch um gebären zu können, muss der Körper das Hormon Oxytocin und Endorphine ausschütten. Dies geschieht nur, wenn die Frau sich ruhig und sicher fühlt. Der Körper eines ängstlichen Menschen schüttet stattdessen Adrenalin aus. Adrenalin jedoch hemmt die Geburt. Wenn die Frauen infolgedessen erschöpft sind oder die Geburt nicht vorangeht, kann es zu mehr medizinischen Interventionen und mehr Notkaiserschnitten kommen. In Deutschland kommen im Krankenhaus jetzt schon über 30 Prozent der Kinder per Kaiserschnitt zur Welt, das ist die dritthöchste Rate innerhalb der EU.

Hebammen sind auch Ansprechpartner Nummer eins für den kompetenten Umgang mit dem Neugeborenen, dazu gehören alle Aspekte der Säuglingspflege. Kommen sie nicht mehr nach Hause zur Beratung, werden sich zum Beispiel weniger Frauen zutrauen, ihr Baby zu stillen.

Umgekehrt konnte Schottland seine Kaiserschnittrate senken, seit dort mehr Hebammen in der Geburtshilfe eingesetzt werden. Auch in den Niederlanden und Norwegen gebären Frauen hauptsächlich mit der Hilfe von Hebammen – und beide Länder haben etwa 15 Prozent weniger Kaiserschnitt-Geburten als Deutschland. Haftpflichtprämien für Hebammen werden dort mithilfe eines Fonds gering gehalten.

In Deutschland werden jedoch Tätigkeiten, die mit Kindern und (werdenden) Müttern zu tun haben, beschämend schlecht entlohnt. Die miesen Einkommen von Erzieherinnen sind ein Beispiel hierfür. Der Umgang mit Hebammen ist ebenfalls exemplarisch. Dennoch tragen Politiker das Wort Bildung ständig auf den Lippen und wiederholen die Dringlichkeit der Investition in die Kinder mantrahaft.

An der tief verankerten Geringschätzung von Kindern und für diejenigen, die sich in der Familie oder beruflich um sie kümmern, rütteln sie hingegen nicht. So wird sich die Geburtenrate, die doch nur numerischer Ausdruck oft unbewusster, gesellschaftlicher Wertigkeiten und Prioritätensetzungen ist, nicht anheben lassen. Stattdessen schieben viele Politiker lieber den Frauen, insbesondere Akademikerinnen, die Schuld in die Schuhe für den Abwärtstrend in der demografischen Kurve.

Hebammen in die Koalitionsverhandlungen

Die Journalistin und Mutter Anke Bastrop aus Schwerin hat nun auf der Onlinepetitionsplattform change.org eine Petition für eine höhere Hebammenvergütung veröffentlicht. Weit mehr als 20.000 Unterstützer gibt es schon. Sie fordert, dass mit den Krankenkassen und Hebammenverbänden höhere Vergütungen für Hebammen vereinbart werden. Zudem wird der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen gebeten, die seit 1. Juli 2013 nochmals gestiegenen Haftpflichtprämien finanziell auszugleichen. Die schon bestehende interministerielle Facharbeitsgruppe soll luftigen Worten Taten folgen lassen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel wird an ihr Versprechen erinnert, das sie im Rahmen eines Bürgerdialogs der Hebamme Nitya Runte gab: Sie persönlich werde sich einschalten, falls die Ergebnisse der Arbeitsgruppe die Situation der Hebammen nicht verbessern sollten. Auch Peer Steinbrück hat vor der Wahl zum Thema Teure Haftpflichtversicherungen für Hebammen in einer Fragerunde erklärt: „Das Problem ist erkannt.“ Die Petition kommt also zum richtigen Zeitpunkt: Das Thema muss Bestandteil der Koalitionsverhandlungenwerden.

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