Die Schoko-Diven-Strategie. Überleben im Kulturbetrieb (Jungle World, September 2009)

veröffentlicht in Jungle World (unter dem Übertitel „Der Tag, an dem Lehman Brothers starb“ verfassten mehrere Autoren kurze Kommentare über ihr Leben nach Ausbruch der Finanzkrise),  September 2009

Die Schoko-Diven-Strategie

Immer schon wurde man gelegentlich gebeten, auch ohne Honorar einen Text zu schreiben oder sich unentgeltlich auf ein Podium zu setzen. Das hat schon immer genervt und mich zu der Rückfrage verleitet: Bitten Sie Ihren Zahnarzt, dass er Sie umsonst behandelt? Fragen Sie im Blumenladen, ob Sie den Strauß heute mal einfach so mitnehmen können? Dass die Schrippen aus Kulanz auch mal so rübergereicht werden?

In Zeiten der Krise hat die Ansicht, dass Kultur eine Art kostenloses Luxusgut ist, viele neue Anhänger gewonnen. Vieles muss und sollte man also getrost absagen. Denn hinter den Anfragen stecken nicht nur Soli-Projekte mit unterstützenswertem Hintergrund, gute Freunde oder kleine Klitschen, sondern auch bekannte Institutionen, Magazine oder Zeitungen. Was aber tun bei den Einladungen und Anfragen, die man aus Interesse an der Sache doch annehmen möchte, obwohl sie honorarfrei sind? Da habe ich folgenden Tipp: Ich handele dann immer ein Kakaopaket aus. Das hat noch nie jemand abgelehnt. Der jeweilige Veranstalter oder Redakteur, wie auch immer, muss mir ein Päckchen guter Schokolade oder Pralinen zukommen lassen. Etwas divenhaft belehre ich mein Gegenüber im Vorfeld, was mir auf keinen Fall auf den Tisch kommt: Keine ekelhaften Alkoholpralinen oder Schokolade mit Erdbeer-Joghurt-Füllung. Keine Edelbitterschokolade mit einem Schokoladenanteil, der über 85 Prozent liegt – zu bitter, schmeckt nicht. Niemals Schokolade mit Kaffeebohnensplittern. Und bitte immer etwas, wo das Auge auch mitisst. Es ist mir wirklich egal, ob man meine Wünsche merkwürdig findet oder nicht, Hauptsache, ich bekomme ein ansprechendes Schokoladenpaket. Sonst trete ich nicht auf, sonst schreibe ich nicht. Alles darf man sich schließlich nicht gefallen lassen. Wenn man schon umsonst arbeitet, kann der Andere sich wenigstens ein bisschen Mühe geben und sich Gedanken um den Autor machen. Bisher hat sich noch niemand meinem Wunsch verweigert.

Mail vom 18. August 2009

Liebe Frau Dückers,
sehr gerne erfreuen wir Sie mit einer Auswahl leckerer Schokolade! Kennen Sie die Krämerbrücke in Erfurt? Dort soll es eine der besten Schokoladenmanu­fakturen Deutschlands geben. Da ich öfter in Weimar bin, werde ich mal einen Abstecher nach Erfurt machen. Gibt es Pralinen, die Sie besonders gerne mögen?

Den Podiumsgästen können wir leider kein Honorar bezahlen, auch XXXXXXXXXXXX und XXXXXXX nicht. XXXXXXXXXXXXXXXX, der ja neben der Moderation auch den Impulsvortrag halten wird, erhält dafür ein Honorar. Die Eintrittsgelder reichen leider kaum, um die Kosten in der XXXXXXXXXXXXXXXXXXX zu decken. Da das XXX ein gemeinnütziger Verein ist und seit Anfang der 1990er Jahre auch keinerlei Unterstützung mehr von XXXXXXXXXXX erhält, müssen sich alle Veranstaltungen selbst tragen. Wir hoffen auf Ihr Verständnis.

Viele Grüße
XXXXXXXXXXXX

© Tanja Dückers, September 2009

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