Der liederliche Grieche (ZEIT Online, Mai 2010)

veröffentlicht auf ZEIT Online, Mai 2010

Die armen südeuropäischen EU-Verwandten haben hier mittlerweile ein Image wie Langzeitarbeitslose. Sie lassen es sich angeblich auf Kosten deutscher Steuerzahler gut gehen.

Plötzlich ist sie wieder da, die Sehnsucht nach der D-Mark. Sie war der Stolz der Deutschen, stabil und unverwüstlich, ein Symbol für die guten alten Zeiten. Und heute? Heute zerbröselt der Euro, weil korrupte und faule Südeuropäer auf unsere Kosten leben. So ähnlich jedenfalls denken viele Deutsche. Wie kaum ein anderer Staat wird Griechenland derzeit verspottet und verachtet.

Galten die Griechen lange Zeit als die etwas besseren Südeuropäer, kultiviert und lebenslustig, so hat sich ihr Image mit der Schuldenkrise abrupt verändert. Nun verkörpern sie quasi das Gegenteil der deutschen Tugenden. Selber Schuld, lautet unisono das Urteil. Wer so lange über seine Verhältnisse lebt, hat nichts anderes verdient als die Pleite – auf jeden Fall schon gar nicht deutsches Geld, um die Krise zu überwinden.

Nichts scheinen die Deutschen mehr zu verabscheuen als die Vorstellung, andere könnten sich auf ihre Kosten ein schönes Leben machen. Wochenlang geisterte das Bild des liederlichen Griechen durch die Medien, der sich von seinen reichen Verwandten Geld geliehen hat, um es anschließend zu verprassen, während man selbst jeden Cent zweimal umdreht. Die armen EU-Verwandten im Süden haben mittlerweile eine ähnliches Image wie Langzeitarbeitslose in Hamburgoder München: Angeblich liegen sie auf der faulen Haut und lassen es sich auf Kosten ehrlicher Steuerzahler gut gehen. In beiden Fällen gehen die Müßiggänger angeblich davon aus, dass Berlin am Ende die Zechen übernehmen muss.

Europäische Solidarität, der Euro als „Schicksalsgemeinschaft“? In der Krise ist sich jeder selbst der nächste. Anders ist die Haltung der Bundesregierung in den vergangenen Wochen kaum zu erklären. Monatelang verzögerte sie konkrete Hilfszusagen, obwohl die Finanzmärkte auf eine griechische Pleite wetteten. Damit sollten die Griechen gezwungen werden, mit ihren Sparvorhaben ernst zu machen, hieß die Begründung.

Dabei hat Deutschland wie kaum ein anderes EU-Mitglied von der Währungsunion profitiert. Zwei Drittel aller deutschen Exporte gehen in das europäische Ausland. Und ohne die Währungsunion wäre der deutsche Exportboom innerhalb Europas kaum denkbar, denn die DM wäre bald so aufgewertet worden, dass deutsche Waren unverhältnismäßig teuer geworden wären. Dann gäbe es weniger „Made in Germany“ bei den Hellenen. Ähnlich paradox wurde zuletzt auf die EU-Osterweiterung reagiert. Gerade in den Staaten, die am stärksten ökonomisch davon profitierten, wie Deutschland und Österreich, stieß die Erweiterung auf besonders große Ablehnung und wurde von hysterischen Warnungen begleitet.

Es ist schon erstaunlich, mit welchem Hass und welcher Verachtung nun auf das griechische Debakel reagiert wird. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Deutschland am Ende selbst von der Hilfe profitieren wird, die es nach langem Zögern endlich bereit gestellt hat – die Kredite müssen schließlich mit sehr hohen Zinsen zurückbezahlt werden.

Auch wenn die aktuelle Krise mit dem EU-Hilfspaket vorerst gebannt scheint, kann es ein „Weiter so“ nicht geben. Das gilt sicherlich für die Griechen, die nun mit Sparmaßnahmen konfrontiert sind, die es früher nur zu Kriegszeiten gab. Das gilt aber auch für Deutschland. Denn der tiefere Grund für die Finanzmisere liegt in der ungleichen Entwicklung, die verschiedene EU-Mitgliedsstaaten in den vergangenen Jahren genommen haben. Nicht nur die Griechen haben über ihre Verhältnisse gelebt, auch die meisten anderen Staaten der Euro-Zone haben mittlerweile gewaltige Defizite.

Deutschland hat dieses Ungleichgewicht durch seine einseitige Exportorientierung maßgeblich mit verursacht. Deutsche Unternehmen haben jahrelang die Reallöhne gesenkt und gleichzeitig die Produktivität erhöht, während andere Länder wie Frankreich zumindest moderate Lohnerhöhungen zu verzeichnen hatten. So wurden andere EU-Ländern nieder konkurriert – durchaus auf Kosten der Arbeitnehmer in Deutschland.

Auf die Dauer funktioniert eine Wirtschaftsgemeinschaft nicht, in der ein Land verkauft und die anderen kaufen: Das ist ein Nullsummenspiel, denn je mehr Deutschland exportiert, desto höher fallen die Defizite der anderen Staaten aus. Wenn es nicht gelingt, diese ungleiche Entwicklung aufzuhalten, droht sie Europa früher oder später zu zerreißen.

© Tanja Dückers, Mai 2010

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