Braune Krisen-Ritter

veröffentlicht in ZEIT Online, 4.5.2000

Alle Globalisierungskritiker haben durch die Finanzkrise Aufwind bekommen. Aber die Rechtsextremen lachen sich besonders in die geballten Fäuste

Man braucht gar nicht erst historische Parallelen zu bemühen, um beunruhigt zu sein. So vergleicht etwa der Kölner Politikwissenschaftler und Armutsforscher Christoph Butterwegge die jetzige Situation mit der nach 1929 und glaubt wie damals an ein Erstarken der rechten Szene.

Es genügt aber auch schon ein Blick auf jüngsten Parolen der NPD. Deren Antwort auf die Finanzkrise ist der Ruf nach einem starken Staat und einer starken Nation – eine im Moment höchst anschlussfähige These, zumal sie mit der Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit verbunden ist. Auch wenn es der Bundesregierung gelingen sollte, eine fundamentale Wirtschaftskrise abzuwenden, könnten solchen Parolen auf fruchtbaren Boden fallen. Denn es bleibt bei vielen Menschen die Furcht vor unabsehbaren Folgen der Finanzkrise.

Jan Ross hat in der ZEIT als Zukunftsszenario eine verängstigte Gesellschaft neuer Spießer beschrieben, die sich als Folge einer neuen Verunsicherung an Heim, Konto und Familienwerte klammern. Man muss jedoch noch einen Schritt weitergehen.

Die eigentliche Gefahr droht nämlich nicht von Langweilern, sondern von Demagogen. Unter der Losung „Kapitalismus und Globalisierung stoppen!“ formuliert die NPD ihre Haltung zum Rettungspaket des Staats: „Während die Bundesregierung eine Erhöhung des Regelsatzes für Hartz-IV-Empfänger trotz hoher Inflationsraten weiter strikt ablehnt, im Bundestag um jede einzelne Million bei der Kinderbetreuung gerungen wird und Millionen von Pendlern nach der Streichung der Pendlerpauschale nicht mehr wissen, wie sie ihre Spritkosten bezahlen sollen, werden einer privaten Großbank mal eben so 35 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt – man hat’s ja.“

Eine Einschätzung, die sicher bei einigen Bürgern auf Resonanz stößt. Nach einer OECD-Studie nahmen die Einkommensunterschiede und der Anteil armer Menschen in der Bundesrepublik viel schneller zu als in den meisten anderen Industrieländern. Eine wachsende Zahl von Menschen könnte daher von nationalen Parolen verführt werden, die ihnen einfache Antworten auf die sozialen und globalen Probleme versprechen.

Die Rechtsextremen jedenfalls fühlen sich derzeit voll bestätigt in ihrer Behauptung, dass die Globalisierung Produkt eines ungezügelten Finanzkapitalismus ist, hinter dem finstere (jüdische) Spekulanten stehen. Die Wall Street dient ihnen, wie einst den Nazis, als Synonym für das Böse schlechthin. Entsprechend fordern Neonazis die Rückkehr zu einer nationalen Ökonomie, eine Verstaatlichung der Banken und einen „Ausstieg aus dem Teufelskreis der Globalisierung zugunsten einer raumorientierten Volkswirtschaft“.

Das Schema ist altbekannt: Der Berliner Antisemitismusforscher Werner Bergmann beobachtet einen strukturellen Antisemitismus bei der Analyse der Finanzkrise. Seit dem Mittelalter werden Juden mit Geld und Handel in Verbindung gebracht, seit dem 19. Jahrhundert auch mit „Börsenspekulanten“. Rechtsextremisten sprächen nun wieder vermehrt von einer “judäo-amerikanischen Weltfinanz“.

Die US-amerikanische Anti-Defamation League (ADL) berichtet von einer anwachsenden Flut von antisemitischen Kommentaren in Diskussionsforen, die mit Wirtschaft und Finanzen zu tun haben. ADL-Direktor Abraham H. Foxman konstatiert: „Wir wissen aus der modernen Geschichte, dass es immer dann eine Zunahme an Antisemitismus gibt, wenn die globale Wirtschaft in einer Krise steckt. Das lässt sich auch jetzt beobachten.“

Besonders brisant wird es, wenn solche Thesen bis weit ins bürgerliche Lager Unterstützung finden. So beruft sich der Wormser Wirtschaftswissenschaftler Max Otte (der zurzeit sehr gefragt ist, veröffentlichte er doch 2006 ein Buch mit dem Titel Der Crash kommt ) in der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit auf den Wirtschaftstheoretiker Friedrich List und dessen Nationalökonomie aus dem 19. Jahrhundert.  In die gegenwärtige Finanzkrise habe ein viel zu schwacher Staat erst viel zu spät eingegriffen.

Dass die Deutschen das Vertrauen in einen starken Nationalstaat verloren hätten, hat nach Ansicht von Otte „zweifellos entscheidend mit dem Scheitern des deutschen Staates in zwei Weltkriegen zu tun“. Der nationale Ökonom möchte nun die Nation wieder als „Schutzraum“ sehen und bedauert, dass die Ökonomen nach 1945 in Deutschland entweder Keynesianer oder Neoliberale gewesen seien – aber keine Nationalkonservative, für die er jetzt jedoch die Stunde gekommen sieht.

Eine originär linke Reaktion auf die Finanzkrise wäre die Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit, eine originär rechte die Forderung nach mehr Schutz und Sicherheit für den Bürger und sein (bedrohtes) Eigentum. Die Rechtsextremen versuchen, beide Seiten zu bedienen: Sie plädieren sowohl für den starken Staat als auch für mehr sozialen Ausgleich (Ausländer und andere Minderheiten natürlich ausgenommen). Sie könnten damit durchaus Anklang finden. Der große Test steht bevor: bei den zahlreichen Wahlen im nächsten Jahr.

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