Alltagsleben in Transnistrien

Alltagsleben in Transnistrien

erschienen in: Die Republik Moldau, Ein Handbuch, Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2012

In Transnistrien, von den Bewohnern selbst PMR (Pridnestrowische Moldauische Republik) genannt, leben drei Nationen zusammen: Russen, Moldauer und Ukrainer. Die Kultur, Traditionen und Bräuche dieser Völker hatten und haben seit der Ausrufung der Republik 1990 maßgeblichen Einfluss auf Kultur und Alltagsleben der Republik am Dnjestr.

Manche Experten behaupten, dass sich in der kleinen Republik bereits ein besonderes Bewusstsein des pridnestrowischen Volkes herausgebildet hat, aber es scheint noch verfrüht, davon zu sprechen. Von staatlicher Seite wird zumindest versucht, dieses Bewußtsein gerade durch Riten und Feste im Alltag zu verankern.

Dementsprechend bietet der Patriotismus oft Anlass für Feierlichkeiten in Transnistrien. Die ganze Gesellschaft mit dem Präsident und Autokraten Igor Nikolajewitsch Smirnow  (*1941) an der Spitze feiert jährlich am 2. September seit 1990 die Ausrufung der Pridnestrowischen Moldauischen Republik (PMR). An diesem Tag geht niemand zur Arbeit, es wird gefeiert. Die Hauptstadt Tiraspol wird zu einem grossen Schauplatz für Konzertaufführungen, Tänze – und nicht zu vergessen: Militärparaden.

Die Gedenkstätte des Ruhmes im Herzen der Stadt, neben dem Parlament, spielt an diesem Tag eine zentrale Rolle. Hier wird den ums Leben gekommenen Helden des Grossen Vaterländischen Krieges und des moldauisch-pridnestrowischen Konflikts 1992 gedacht. Hier findet die traditionelle Blumenniederlegung statt, an der die ganze Repubik teilnimmt. Danach wird die pridnestrowische rot-grüne Fahne unter Begleitung der staatlichen Hymne gehisst. Zum Ausklang der Feierlichkeiten findet ein grosses Feuerwerk statt und die aus Russland eingeladenen Bands beenden das Fest mit Musik.

Ebenfalls ein wichtiger patriotischer Feiertag ist der 9. Mai. Der Sieg des Sowjetvolkes über Nazi-Deutschland hat in Pridnestrowien im Unterschied zu den baltischen Republiken nicht an Wert verloren. Die Veteranen werden von der ganzen Gesellschaft respektiert, einige von ihnen marschieren mit der Führung und eingeladenen Gästen durch das Zentrum der Stadt zum Suvorov-Denkmal, an dem noch weitere Feierlichkeiten abgehalten werden. Für die Verteranen 1941-1945 werden am Kai des Dnjestrs traditionelle Semljankas (Gelage im Freien) organisiert, und es werden traditionellerweise 100 Mililiter auf Sieg und gestorbene Kameraden getrunken.

Der Tag des Vaterlandsbewahrers (mit Vaterlandsbewahrer sind alle Armeeangehörigen gemeint) wird in Pridnestrowien nach der alten sowjetischen Tradition am 23. Februar begangen. Einen oder zwei Tage zuvor veranstalten das Innenministerium, das Staatssicherheitsministerium und das Verteidigungsministerium einen Wettbewerb unter ihren Mitarbeitern im hauptstädtischen Stadion. Die Vertreter der Sicherheitskräfte konkurrieren im Laufen und Tauziehen, zeigen ihre Kampfkünste und organisieren Helikopter-Shows für die Zuschauer. Auf diese Weise soll die Wehrfähigkei des Staates demonstriert werden.

Der Frühling wird in Pridnestrowien mit dem moldauischen Fest Marcisor begrüßt. Es symbolisiert das Erwachen der Natur aus dem Winterschlaf. Die pridnestrowischen Tanzkollektive veranstalten aus diesem Anlass Auftritte in allen Städten und Bezirken der Republik.

Obwohl die pridnestrowische Gesellschaft eher patriarchalisch strukturiert ist, feiert man hier am 8. März den Weltfrauentag. In allen Schulen und Kindergärten organisiert man die Wettbewerbe für die beste Zeichnung für die Mutter. Die Männer schenken ihren Frauen oder Freundinnen Blumen. In allen Städten und Dörfern wiederum werden Tänze aufgeführt.

Das Neujahrsfest wird stets im Rahmen der Familie begangen. Am 31. Dezember versammeln sich alle Familienmitglieder an einem großen Tisch und tafeln gemeinsam in das neue Jahr. Die PMR pflegt bekanntlich besonders gute Beziehungen zu Russland, deswegen hört man sich die Weihnachtsrede von nicht nur pridnestrowischem Staatschef, also von Herrn Smirnov (es gab bislang noch keinen anderen) an, sondern auch vom russischen – um 23 Uhr abends nach Ortszeit.

Unter den Neujahrsfest-Gerichten sind der Salat Olivje und die herzhafte Lagentorte Schuba (kleingeschnittene Zwiebeln, Kartoffeln, Mayonnaise, Fischstückchen und viel Rote Beete) am bekanntesten. Besuche bei Angehörigen, gemeinsame Spaziergänge zum großen Tannenbaum im Zentrum der Stadt gegen Mitternacht, Feuerwerke (gern auch selbst hergestellte) auf den Straßen sowie Geschenke füreinander sind die wesentlichen Bestandteile dieses Festes.

Bekanntlich ist die pridnestrowische Gesellschaft in ihrer großen Mehrheit slawisch orthodox. Daher wird Weihnachten am 7. Januar gefeiert. An diesem Tag ist es üblich, die Paten mit Aschkuchen (leckere Rosinentörtchen mit Zuckerguß und Streuseln – im Russischen als Kulitsch bekannt) zu besuchen. Das Osterfest wird in der PMR weit und breit gefeiert. In jeder pridnestrowischen Stadt und in fast jedem Dorf gibt es Kirchen, die an diesem Tag natürlich besucht werden. Die Gläubigen bleiben die ganze Nacht über in der Kirche. Andere Menschen gehen früh am Morgen in die Kirche und lassen mitgebrachtes Essen vom Priester segnen. Die Leute kaufen oder bereiten an diesem Tag die Pasha (die österliche Variante von Aschkuchen) zu, die zu diesem Anlass mit gefärbten Eiern serviert wird.

Unter Jugendlichen und Studenten sind der Valentinstag am 14. Februar und der Studententag am 25. Januar die beliebtesten Feste. Der Studententag ist auch als Tatjanas Tag bekannt. 1755 hat die russische Kaiserin Jelisaweta Petrovna den Erlass über die Eröffnung der Moskauer Universität unterzeichnet. Dies geschah am Tag der heiligen Märtyrerin Tatjana, weswegen die Märtyrerin als Schutzpatronin der Studentenschaft gilt. In der Regel versammeln sich zu diesem Anlass die Studenten bei einem ihrer Kommilionen in der Wohnung und feiern mit Bier.

Ein wichtiges Familienfest in der PMR ist die Taufe. In allen Städten und Dörfern werden Neugeborene, Kleinkinder oder auch Erwachsene in den Kirchen getauft. Die Familien schenken der Kirche Brot und Wein und versammeln sich danach zu Hause zum Feiern. In der Regel hat ein Taufkind zwei Paten, die es sein Leben lang begleiten und beschützen sollen.

Bei der Erwachsenentaufe spricht der Priester erst den Segen, dann springen die Gläubigen in ein kreuzförmiges Eisloch und lassen sich weihen. Ein Schluck Wodka bringt die Lebensgeister zurück.

Die Armee und Miliz haben in Pridnestrowien große Bedeutung. Wenn ein Soldat (Offizier) oder Milizionär bei der Beförderung den nächsten Stern  bekommt, wird der Stern zuerst in ein 100-Gramm-Glas Wodka gesenkt. Dann wird der Wodka ausgetrunken, und erst danach wird er auf die Schulterklappen gesetzt. Es herrscht der Aberglaube, dass man dadurch bald die nächste Beförderung erhält.

Hochzeiten gehören natürlich auch zu den wichtigen Familienfesten, die man in der PMR begeht.

Auch hier werden in den jeweiligen Familien spezifische russische, ukrainische oder moldauische Bräuche beachtet. In jedem Fall: Der Bräutigam und die Braut schlafen vor der Hochzeit getrennt. Der Bräutigam holt seine Braut am nächsten Morgen mit einem schönen Auto ab und bringt sie zum Standesamt. Nach dem Schwur fahren das Ehepaar und seine Gäste zur Gedenkstätte des Ruhmes im Zentrum der Stadt (in jeder pridnestrowischen Stadt gibt es eine Gedenkstätte des Ruhmes). Dort legen sie Blumen an den Gräbern der Soldaten des Grossen Vaterländischen Krieges und des bewaffneten Konflikts 1992 nieder und danach geht man mit dem Fotografen an Lieblingsorten in der Stadt oder des Dorfes für einen Fototermin. Am Abend trifft man sich entweder im Restaurant oder aber man feiert im Freien. Bänke und Tische werden auf den Hof gebracht und eine der lokalen Musikgruppen eingeladen. Diese haben oft ein reiches Repertoire an moldauischen, russischen, ukrainischen, bulgarischen und jüdischen Liedern. Besonders beliebt auf Hochzeiten ist der moldauische Tanz Peleniza. Die Leute bilden einen Reigen, in der Mitte tanzt jemand mit einem langen Tuch. Der Tänzer wählt jemanden aus dem Reigen aus und holt ihn zu sich. Beide knien sich auf das Tuch und küssen sich. Und so geht es weiter, bis alle müde sind.

Ein besonders wichtiger Bestandteil des Alltags in der PMR ist der Fußball. Das Stadion vom FC Sheriff Tiraspol an der Stadtgrenze von Tiraspol ist sehr pompös. Neben dem hochmodernen Stadion gibt es ein Dutzend Trainingsplätze, eine riesige Halle und sogar eine eigene Fußballakademie für den  Nachwuchs. Neben dem Areal entsteht derzeit ein 5-Sterne-Luxushotel. Die megalomane Sportanlage ist dem armen Land nur möglich, weil der Namensgeber des Clubs gleichzeitig Inhaber des größten Unternehmen des Landes ist: Tankstellen, Supermärkte, Fernsehen und Radio, das Mobilfunknetz, die größte Bäckerei und eine Kognak-Fabrik befinden sich in Besitz von Sheriff. Auch die größte orthodoxe Kirche in Tiraspol wurde mit Konzern-Mitteln  saniert.

Der Club wurde 1997 gegründet und stieg in kurzer Zeit in die 1. Liga auf. Dort dominiert er seine Gegner: Der FC Sheriff ist bislang in ungebrochener Folge moldauischer Fußballmeister. Der konkurrenzlose Erfolg ist allerdings kein Wunder, denn als einziger Club weit und breit kann Sheriff es sich leisten, zahlreiche ausländische Spieler zu verpflichten, darunter nicht nur rumänische, sondern auch brasilianische und afrikanische Legionäre.

Während in der zweigeteilten Republik Moldau zumindest offiziell kein gutes Wort übereinander gesagt wird, sind beim Fußball alle vereint. Da auch die FIFA die PMR nicht anerkennt, spielen die Clubs von beiden Seiten des Dnjestr in der Divizia Natională, der moldauischen Liga. Eine Zeitlang hatte Präsident Smirnow die Spiele mit den Moldauern in einer gemeinsamen Nationalelf verboten. Dann ließ er sich doch überzeugen, dass es keine bessere Möglichkeit gibt, die PMR im Ausland zu präsentieren.

Das westliche Ausland ist in der PMR trotz des starken russischen (vielmehr noch: sowjetischen) Einflusses, der sich unter anderem an den zahlreichen Lenindenkmälern ablesen lässt, zunehmend in Form von Freizeitangeboten für jüngere Menschen vertreten: Ein beliebter Treffpunkt bei jungen Leuten in der Hauptstadt ist Andys Pizza.

Es gibt auch eine Verbindung nach Deutschland: Seit 2002 besteht eine Städtepartnerschaft zwischen Tiraspol und der sächsischen Kleinstadt Eilenburg. Die Partnerschaft wird allerdings seit dem Besuch einer Eilenburger Delegation nicht mehr aktiv gepflegt. Es gibt jedoch ein in der Bevölkerung überaus beliebtes Café und Restaurant Eilenburg, in dem deutsche Küche serviert wird.

© Andrey Smolensky, Tanja Dückers, Tiraspol / Berlin, im Februar 2011

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