Wenn Linke gegen Israel demonstrieren (ZEIT Online, Juli 2014)

veröffentlicht auf ZEIT Online, Juli 2014

Es scheint paradox: Während die deutsche Linke Russland gegenüber Nachsicht übt, geißelt sie jeden Fehltritt von Israel aufs Schärfste. Warum ist das so?

Ein Teil der Deutschen geht wieder auf die Straße. Nicht gegen Putin, nicht gegen die russische Invasionspolitik – bei der Annektierung der Krim blieb es eigentümlich still – sondern gegen Israel. Sie wenden sich auch nicht gegen den furchtbaren Nahost-Konflikt an sich, gegen alle beteiligten Akteure, demonstrieren für den Frieden in der Region, nein, sie demonstrieren gegen Israel.

Russland und Israel haben eines miteinander gemeinsam: Es sind beides Länder, denen gegenüber sich Deutschland aus historischen Gründen zu Recht in der Schuld fühlt. Doch haben die Deutschen sehr verschiedene Umgangsformen mit den beiden ehemaligen Opferländern der Nazi-Gewaltherrschaft etabliert.

Es lohnt sich, zu überlegen, warum vor allem Linke in Deutschland dem einen Land ständig mit einer Dauerschon-Haltung begegnen, hingegen das andere – gern als Vorposten der USA im Vorderen Orient gesehen – zur Zielscheibe von Hass mutiert ist.

Auch in deutschen Medien waren in den vergangenen Wochen immer wieder Artikel zu lesen, die dezidiert Positives über Russland zu berichten wussten – zumindest bis zum Abschuss der Boeing auf dem Gebiet der Separatisten in der Ukraine. Ein besonders makaberes Beispiel hierfür liefert Jakob Augsteins KolumnenbeitragWarum die Schuldfrage nicht weiterführt, in dem er schreibt, weil die Amerikaner vor 26 Jahren irrtümlich einen Airbus abgeschossen hätten, müsste man jetzt Putin auch gewähren lassen. Nach dieser Logik hätte jetzt jedes Land mal einen Abschuss frei.

Diese Haltung betrifft nicht nur einige Medien, sondern auch die Politik. In der SPD muss sich die Schröder-Nachfolge-Generation noch mit Schröders Diktum vom lupenreinen Demokraten herumschlagen. Die Vorstellung der Achse Paris-Berlin-Moskau, also einer kontinentaleuropäischen Union gemeinsam mit Russland als Gegenmodell zum transatlantischen Bündnis, spukt noch immer in manchen Köpfen.

In der Linkspartei wiederum herrscht ein noch ungetrübteres Verhältnis zu Russland. Viele Mitglieder der Linkspartei sympathisieren mit Putins Sichtweise. Seit jeher sieht es die Linkspartei als ihre besondere Aufgabe an, russische Interessen zu berücksichtigen. Nach Ansicht einzelner Funktionäre wie Sahra Wagenknecht regieren in Kiew mit dem Segen von Merkel die Faschisten, während sich die US-Diplomatie „die Hände reibt“.

Hinzu kommt, dass viele deutsche Politiker ein persönliches Russland-Trauma haben: Ihre Väter haben dieses Land im Zuge eines Angriffskriegs mit Not und Elend überzogen, sich in Russland eines beispiellosen Mordens schuldig gemacht. Deshalb sind und stehen die Deutschen in Russlands Schuld. Eine ganze Generation von russischen Vätern und Müttern lebt noch, der die Deutschen alles genommen haben. Aber hier kann keine ideologische Wiedergutmachung getätigt werden, indem man heute Putin mit Nachsicht behandelt und ein romantisches, auf den großen kulturellen Leistungen des Landes basierendes, Russlandbild aufrechterhält.

Doch kann man Schostakowitsch, Dostojewski und Tolstoi lieben und die Politik des Systems Putin dennoch rundheraus ablehnen. Man könnte sogar argumentieren, dass die großen Werke der russischen Literatur und Musik eher antihierarchisch und unheroisch ausgerichtet sind (man denke an die 7., die „Leningrader“ Sinfonie von Schostakowitsch, in welcher der Untergang der Deutschen Armee sehr würdevoll und mit Respekt intonisiert wird) – im Geiste Putins wurden sie jedenfalls nicht geschaffen. Diskussionen über Russlands Politik entwickeln sich jedoch schnell hin zur Schönheit der russischen Sprache und dem Zauber der Eremitage in St. Petersburg. Das spricht natürlich nicht gegen den Wohlklang des Russischen oder die Erhabenheit des berühmtesten Museums Russlands, sondern gegen die Fähigkeit der Deutschen, Sphären voneinander getrennt zu betrachten und nicht politische Haltungen auf einem gefühligen Potpourri zu gründen.

Linke marschieren auf Demonstrationen mit, auf denen Hitlervergleiche herangezogen werden

Vor allem aber ist der Blick der Deutschen von der Vorstellung beeinflusst, dass es sich bei Russland um ein im Grunde schwaches, gedemütigtes Land handele. Diese Wahrnehmung herrscht mindestens seit den neunziger Jahren vor. Die Sowjetunion – für die Linken immer noch ein wenig heimlicher Hoffnungsträger gegen den bösen US-Imperialismus – war im Kalten Krieg am Ende den Amerikanern im Wettrüsten unterlegen. Ohnmächtig musste Russland zudem die Interventionen der USA auf dem Balkan und später im Irak und Afghanistan hinnehmen, die es ebenso kritisierte wie viele Linke im Westen.

Das Machtmonopol und die Korruptionsfreudigkeit russischer Oligarchen, kurz gesagt der Kapitalismus Moskauer Prägung, findet in der linken Kapitalismuskritik kaum Erwähnung. Der repressive Umgang mit Minderheiten und zivilgesellschaftlichen Initiativen verschwindet da fast zu einer Nebensächlichkeit.

Was Israel angeht, findet hingegen eine Schuldumkehr statt. Da gewähren die Deutschen – gemeint ist nicht die oberste politische Führungsriege, sondern der Durchschnittsdeutsche – keine Schonung. Hier wird nichts romantisiert, weder Bethlehem, das Rote Meer oder die wunderbaren Zeichen der hebräischen Schrift. Im Gegenteil, da marschieren ausgerechnet deutsche Linke munter bei Demonstrationen mit, bei denen Hitlervergleiche herangezogen und der Holocaust mit der – natürlich grausamen, ungerechten und auch politisch sehr unklugen – israelischen Besatzungspolitik gleichgesetzt wird.

Israel als verlängerter Arm der Weltmacht USA

Was in Wirklichkeit gedanklich synchronisiert wird, ist Israel mit den USA. Das kleine Land dient aus dieser Sicht als verlängerter Arm der Weltmacht in der Region – und ist somit ein vermeintlicher Bestandteil einer imperialen Politik, die ihre Interessen bedingungslos gegen Schwächere durchsetzt. Israel-Kritik ist immer auch zu einem substanziellen Teil purer unreflektierter Antiamerikanismus. So ist das Denken der Linken aufgeteilt in Stark und Schwach, und es gilt a priori, die Schwachen zu unterstützen, denn sie sind „die Guten“: ob es sich bei ihnen um die Schwachen von gestern oder vorvorgestern handelt oder nicht.

Selbst die Sondererscheinung der Antideutschen denkt so, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen: ihre unbedingte Solidarität mit dem von Feinden umringten Israel und der Dämonisierung seiner Gegner geht so weit, dass sie bisweilen Überschneidungen mit der islamophoben Rechten aufweist.

Es wird hierbei nicht in Betracht gezogen, dass der vermeintliche Opferstatus – ob diese Zuschreibung nun stichhaltig ist oder nicht–, keinesfalls bedeutet, dass ein Opfer per se im Recht ist. Die „schwachen“ Russen verfügten über genügend Ressourcen, um Tschetschenien zu verwüsten – Hunderttausende sind in diesem Krieg gestorben, es war einer der blutigsten der letzten Jahrzehnte, in Transnistrien, also auf Boden eines souveränen Staats, der Republik Moldau, seit fast zwanzig Jahren eine Armee stationiert zu halten und auch noch ihre Interessen in Georgien und der Ukraine mit großer Härte durchzusetzen.

Der Hauptfeind vieler Linker sind und bleiben dennoch die USA. Damit bleibt diese linke Haltung in ihrem Denken in den Kategorien der achtziger Jahre verhaftet, und diese Retrohaltung muss kritisiert werden dürfen: Denn diese Kategorien aus der Ära der bipolaren Weltordnung treffen heute nicht mehr zu. Wenn Russland und China die USA als global player ablösen, was durchaus möglich ist, wird die Welt jedenfalls nicht friedlicher und gerechter werden.

© Tanja Dückers, im Juli 2014
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