Von der Leyen hat noch viel zu tun

Die Zahlen klingen gut: Die Kinderarmut sinkt. Schaut man genau hin, hat sich nicht viel verändert. Über Hartz-IV-Sätze und frühe Bildung muss weiter gesprochen werden.

Ursula von der Leyen versprüht angesichts der neuen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit, Optimismus: „Die Kinderarmut sinkt!“ Doch die Statistik verschleiert vieles. Statt über einen nur sehr mäßigen Erfolg zu jubeln, sollten Arbeits- und Familienpolitiker lieber über die Höhe der Hartz-IV-Sätze für Kinder nachdenken und mehr in Ganztagsschulen und frühkindliche Bildung investieren.

Die Statistik: 1,9 Millionen Kinder unter 15 Jahren mussten im September 2006 Hartz-IV-Leistungen beziehen, fünf Jahre später, im September 2011, waren es noch knapp 1,64 Millionen. Dies entspricht einem Rückgang um etwa 257.000 oder 13,5 Prozent. Das klingt auf den ersten Blick wirklich gut. Die regionalen Unterschiede sind jedoch eklatant: In Bundesländern wie Baden-Württemberg und Bayern hat sich die Zahl der Hartz-IV-Kinder um mehr als 20 Prozent reduziert. In Berlin, der Hauptstadt der Arbeitslosen und Hartz-IV-Empfänger, ging die Zahl nur um 1,2 Prozent zurück. Nach wie vor beziehen in manchen Bezirken der Hauptstadt mehr als 50 Prozent der Kinder Hartz-IV-Leistungen – unter anderem im Regierungsbezirk Mitte.

Die demografische Entwicklung beschönigt die Zahlen

Weiter gedämpft wird der Optimismus, wenn man sich anschaut, wie die demografische Entwicklung die Zahlen beschönigt. Denn in Deutschland ist die Zahl der unter 15-Jährigen seit 2006 um fast 750.000 zurückgegangen. Kinderschutzbund-Präsident Heinz Hilgers resümiert nüchtern: „Wenn es also immer weniger Kinder gibt, so ist es keine Überraschung, dass in absoluten Zahlen betrachtet auch immer weniger Kinder von Sozialleistungen leben.“ Wer sich deshalb nicht an den absoluten Zahlen orientiert, sondern prozentual ausrechnet, wie viele Kinder jeweils in den Jahren 2006 und 2011 von Hartz IV lebten, kommt auf eine andere Zahl: Dann ist in den letzten fünf Jahren die Quote nur um 1,5 Prozentpunkte gesunken. 2006 sind laut Hilgers Rechnung 16,6 Prozent der Kinder Hartz-IV-abhängig gewesen, im vergangenen Herbst 15,1 Prozent. „Der Jubel von Arbeitsministerin von der Leyen ist völlig unangebracht“, meint Hilgers.

Noch eine statistische Tücke: In Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Thüringen, ging die Zahl der minderjährigen Hartz-IV-Empfänger unter 14 Jahren überdurchschnittlich stark zurück. Dies dürfte jedoch weniger mit einer rasant gewachsenen Zahl an Arbeitsplätzen zu tun haben als mit der Abwanderung junger Familien.

Auch Menschen mit niedrigem Lohn sind arm

Darüber hinaus beziehen sich die Zahlen nur auf die Kinder der Hartz-IV-Empfänger. Markus Grabka, Sozialexperte im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), warnt auch deshalb davor, die Zahlen zu positiv auszulegen. Er meint, der derzeitige wirtschaftliche Erfolg Deutschlands könne nicht über den fast unveränderten Sockel an Armen hinwegtäuschen. Nicht mehr von der „Stütze“ leben zu müssen, sei für viele Eltern längst keine Garantie mehr, nicht von Armut betroffen zu sein. Das Risiko bestehe gerade auch für Familien, deren Einkommen sich aus dem Niedriglohnsektor speise.

Der Grund für die anhaltend hohe Zahl von armen Kindern ist nach wie vor, dass Eltern in Deutschland ihren sozialen Status „vererben“. Mehrere OECD-Studien belegen, dass die Aufstiegschancen eines Kindes aus schwierigen sozialen Verhältnissen in Deutschland deutlich schlechter sind als in anderen europäischen Ländern, egal, welche Fähigkeiten und Talente es aufweist.

Ganztagsschulen und gute Kitas, gerade auch für Unter-Dreijährige, könnten für viele Kinder eine pädagogisch-soziale Kompensation bedeuten. Aber der Ausbau geht schleppend voran und in gute Qualität wird zu wenig investiert.

Außerdem verhindert die Erfolgsmeldung, dass weiter über die Höhe der Sätze für Kinder gesprochen wird. Dabei lohnt es sich, darüber nachzudenken, ob zum Beispiel der derzeit geltende Beitrag von genau 0,91 Cent pro Monat für Spielzeug angemessen ist. Für Kinder bedeutet Spielen Lernen. Bei 0,91 Cent Geld für Spielzeug im Monat muss man sich nicht wundern, wenn Hartz-IV-Kinder öfter mal vorm Fernseher geparkt werden oder herumlungern. Immerhin: Das sogenannte Bildungspaket derBundesregierung findet inzwischen größeren Anklang. Rund 45 Prozent der bedürftigen Kinder erhalten gegenwärtig Zuschüsse, in erster Linie jedoch, anders als der Name „Bildungspaket“ nahelegt, für ein Mittagessen an der Schule.

Kinder zu fördern ist eine entscheidende Investition in die Zukunft eines Landes. Sie sind die wichtigste Stütze für wirtschaftliche Prosperität in einer alternden Industrienation. Frau von der Leyen hat noch viel zu tun.

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