Vanitas – ewig ist eh nichts (Berliner Morgenpost, Juli 2014)

veröffentlicht in Beriner Morgenpost, Juli 2014

In weißen Lettern thront das berühmte Gedicht „Es ist alles eitel“ des Barockdichters Andreas Gryphius (1616-64) über dem Ausstellungsbesucher: „Du siehst wohin du siehst nur Eitelkeit auf Erden. Was dieser heute baut, reist jener morgen ein (…)Was jetzt so pocht und trotzt ist morgen Asch und Bein. 
Nichts ist das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.
 Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden (…)“. Schönheit und Vergänglichkeit, Eros und Verfall, der überall lauernde Tod sind Themen, die in der Kunstgeschichte schon immer eine zentrale Rolle gespielt haben. Klassische Symbole auf Stillleben des Barocks sind verwelkte Blumen, erlegte Tiere, Totenschädel und erloschene Kerzen. „Vanitas – Ewig ist eh nichts“ heißt die neue Ausstellung im Georg-Kolbe-Museum. Die Kuratorinnen Nathalie Küchen und Sandra Brutschter haben den gelungenen Versuch unternommen, zeitgenössische Positionen zum Thema „Vanitas“ (lateinisch: Eitelkeit, Einbildung, Trug, leerer Schein) aufzuzeigen. 14 international renommierte Künstler, darunter Mona Hatoum, Alicja Kwade, Thomas Schütte und Tomás Saraceno, haben sich in ihren Arbeiten mit der Endlichkeit der Dinge auseinandergesetzt. Die künstlerischen Positionen reichen von umgestalteten klassischen Vanitas-Symbolen wie Uhren und Spiegeln, über die Verwendung vergänglicher Materialien – Blumen und Früchte – bis zu einer radikalen Ästhetik, die Zusammenbruch, Auflösung und Chaos zelebriert. Zu sehen sind Arbeiten von 1960 bis heute.

Eindrucksvoll ist gleich zu Beginn James Hopkins „The Dance of Death“: Elemente eines flippigen Jugendzimmers – Diskokugel, E-Gitarre und jede Menge ausgetrunkener Bierflaschen – wurden an einer Wand wie ein Stillleben fixiert. Alle Objekte sind zur Hälfte schwarz, zur Hälfte weiß bemalt, sind von dieser Yin-Yan-Trennlinie gezeichnet. Paweł Althamer wiederum hat Gesichtsabdrücke von lebenden Venezianern genommen und diese sehr naturalistisch wirkenden Masken auf skelettartige, unheimliche Gerüste gestellt. Unwillkürlich drängen sich Gedanken an Prothesen und andere Ersatzteile auf. Thomas Schütte verfolgt eine ähnliche Spur: Seine Arbeit „Me“ sieht aus wie die Totenmaske in spe des Künstlers.

Dieter Roth, von dem in der permanenten Ausstellung des Hamburger Bahnhofs eine schon seit Jahrzehnten vor sich hinwachsende und -wuchernde Riesen-Garten-Landschaft („Garten-Skulptur“) zu sehen ist, verwendet auch hier Naturmaterialien und lässt sein Werk absichtlich verfallen. In ähnlicher Manier hat Reijiro Wada Obststücke höchst attraktiv zwischen Glaswänden und Folie drapiert – die Früchte wirken wie bunte Elemente einer abstrakten Skulptur, doch im Zuge der Ausstellungsdauer werden sie zu Boden gesunken, braun und verfault sein. Luca Trevisani erinnert in seiner Arbeit „James Hiram Bedford“ an den ersten Menschen, der sich vor knapp 50 Jahren einfrieren ließ – für den Fall, dass er eines Tages wieder zum Leben erweckt werden könne. Damals waren Fotos von einem schwer lungenkrebskranken Mann aus dem kalifornischen Glendale um die Welt gegangen, der von drei Männern einer geheimnisvollen „Tiefkühl-Gesellschaft“ („Cryonics Society“) umringt war. Sie schichteten Eisblöcke um den Sterbenden und zapften sein Blut ab, um es durch ·einen ganz besonderen, tiefkühlbaren Saft ersetzen. Diese Gruselstory entsetzte damals viele, führte aber auch zu wilden Hoffnungen. Heute sind es knapp 300 Menschen, die in Tanks mit -196 °C kaltem flüssigem Stickstoff lagern. Die Optimisten unter ihnen haben nur ihre Köpfe für das Experiment mit der Zukunft hergeben. Bei Trevisani sind es gefrorene Lilien, Callas und Paradiesvogelblumen, die im Zuge der Ausstellungsdauer auftauen werden. Andere Künstler versinnbildlichen das Voranschreiten der Zeit, in dem sie Uhren in ihren Installationen verwenden: Bei Katja Strunz kann der Besucher Herr über das Schicksal spielen und drei massive Kukucksuhren per Fußpedal von der Wand stürzen lassen. Alicja Kwade hat – schlicht und wirkungsvoll – hinter einem Spiegel, in dem sich der Besucher selber sieht, eine tickende Uhr gestellt.

Dass der Tod stets auch im Häuslichen lauern kann, bestätigt Mona Hatoum: In einem elegant-verglasten Wohnzimmerschrank scheinen hübsche Schmuckstücke – oder sind es Weihnachtskugeln? – zu leuchten. Bei näherer Betrachtung erweisen sich diese als schillernde Handgranaten. Die Ästhetisierung und Verschleierung von Gewalt ist ein wiederkehrendes Thema bei Hatoum. Kei Takemura wiederum versucht, sich dem Verfall zu wiedersetzen, in dem sie Alltagsgegenstände wie eine zersprungene Glühbirne oder eine angeschlagene Tasse so mühevoll zusammenflickt und in Gaze hüllt wie es der japanischen Tradition mit Wertgegenständen entspricht. Für kulturbewusste Japaner führt der Anblick von angeschlagenem Geschirr oder anderen beschädigten Objekte immer auch zu einer seelischen Verwundung. Deshalb gilt grundsätzlich: Mit Hingabe reparieren oder wegwerfen.

Doch die größte und eindrucksvollste Installation findet sich im Keller: Im Dunklen schimmern drei große Spinnennetze in einem Drahtgestell, gewebt von zwei verschiedenen Spinnengattungen – einer kenianischen und einer südeuropäischen. Der Künstler Tomás Saraceno hat sie zu verschiedenen Zeiten in seinem Studio an ihren Netzen weben lassen, damit sie nicht aufeinandertreffen und sich gegenseitig bekämpfen. Beide Spinnennetze sind von beachtlicher Größe. Nur auf sie sind die Lichtquellen punktgenau gerichtet, der Besucher tappt im Dunklen, orientiert sich an den Spinnennetzen. Der Transport der scheinbar so fragilen Arbeit erwies sich als leichter als erwartet, denn „Spinnenfäden sind eines der stärksten natürlichen Elemente“, so Museumsdirektorin Dr. Julia Wallner. Das Drahtgestell samt Spinnen konnte einfach per LKW geliefert werden. Vielleicht spürt man etwas von dieser Stärke im Verborgenen: eine seltsame Vitalität geht von dieser naturalen Installation aus, obwohl Spinnennetze ein klassisches Symbol für Alter und Verfall sind.

Ein wenig versteckt im „Alten Westen“ Berlins, nahe der Heerstraße, lockt das kleine, feine Georg-Kolbe-Museum immer wieder mit höchst sehenswerten Ausstellungen in sein Reich. Benannt ist es nach dem berühmten figürlichen Bildhauer Georg Kolbe – einem Repräsentanten der Weimarer Republik. Einige seiner Plastiken sind im schönen Museumsgarten sowie im Untergeschoss zu sehen.

Ausstellung: Vanitas – Ewig ist eh nichts

Ausstellungsdauer:  15. Juni bis 31. August 2014

Georg Kolbe Museum, Sensburger Allee 25, 14055 Berlin

S-Bahn: Heerstraße

Öffnungszeiten: Di–So, 10–18 Uhr

Eintritt: 5 €, ermäßigt 3 €

www.georg-kolbe-museum.de

© Tanja Dückers, Juni 2014

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