Ta Nehisi Coates: Zwischen mir und der Welt (Jungle-World, Sachbuch-Rezension, März 2016)

Ein unbewaffneter Schwarzer flüchtet in North Charleston nach einer Verkehrskontrolle vor einem weißen Polizisten und wird von ihm durch Schüsse in den Rücken getötet. Ein zwölfjähriger schwarzer Junge wird in Cleveland von einem Beamten erschossen, weil dieser dessen Spielzeugpistole für echt hielt. Die Liste ließe sich lange fortführen. Fast täglich endet ein Polizeieinsatz in den USA tödlich. Auffallend ist, dass die tödlichen Einsätze oft in Gegenden mit großen sozialen Problemen stattfinden. Seit dem 11. September 2001 gab es rund 5.000 Tote durch Polizeieinsätze, wie die Initiative killedbypolice feststellte. Demgegenüber stehen 54 Anklagen und gerade mal elf Verurteilungen. Der Anteil der getöteten Schwarzen durch Polizeieinsätze ist dreimal so hoch wie der Anteil in der Bevölkerung (13 Prozent). Und Schwarze machen, laut Huffington Post, 44 Prozent der Gefängnisinsassen aus.

Der amerikanische Journalist und Buchautor Ta-Nehisi Coates hat nun ein Buch über Rassismus in den USA geschrieben – in Form eines Briefs an seinen 15-jährigen Sohn, in dem er die persönliche Geschichte der Coates mit der kollektiven Geschichte schwarzer Amerikaner verzahnt. Der Ton, die Dringlichkeit von „Between the world and me“ (auf Deutsch: „Zwischen mir und der Welt“), aber auch seine Analyse der strukturellen Gewalt gegen Schwarze in den Vereinigten Staaten sind bestechend. „Pflichtlektüre!“, sagte die Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin von 1993, Toni Morrison, über „Between the World and me“ und verglich Ta-Nehisi Coates mit James Baldwin. Auf der Bestsellerliste der New York Times erreichte Coates Kampfschrift den 1. Platz.

Ta-Nehisi Coates, Jahrgang 1975, ist einer der interessantesten amerikanischen Intellektuellen derzeit. Mit seinem vor anderthalb Jahren erschienenen Essay „Plädoyer für Reparationen“ trat er für eine Aufarbeitung der Sklaverei in den USA an. Seine Forderung nach Entschädigungszahlungen an schwarze US-Bürger polarisierte die öffentliche Meinung. Unbestritten ist jedoch, dass die Folgen der Sklaverei noch heute ökonomisch nachweisbar sind. So konstatiert Caotes in „Zwischen mir und der Welt: „(…) der Vermögenswert weißer Haushalte ist etwa zwanzigmal so hoch wie der schwarzer Haushalte. (…) An diesen Zahlen ändert auch nicht, dass es jetzt keine erniedrigenden ‚Nur für Weiße‘-Schilder mehr gibt.“

Politisches Engagement liegt Coates im Blut: Sein Vater gehörte der Black Panther Party an und gründete die Black Classic Press. Nun ist Ta-Nehisi Coates selbst Vater. Ausgangspunkt für „Zwischen mir und der Welt“ war für Coates die anhaltende Gewalt, die von weißen Polizisten an Schwarzen verübt wird. Der Leser merkt schnell: Coates hat schlicht Angst um seinen Sohn im Teenager-Alter. Dabei rückt Coates den für Jugendliche so wichtig werdenden eigenen Körper ins Zentrum seiner Betrachtungen, allerdings nicht unter erotischer Prämisse, sondern unter dem Aspekt der Gefahr für Leib und Leben: „Ich schreibe dir jetzt in deinem fünfzehnten Lebensjahr. Ich schreibe dir jetzt, denn dies ist das Jahr, in dem du gesehen hast, wie Eric Garner erwürgt wurde, weil er Zigaretten verkaufte, im dem du erlebt hast, dass Renisha McBride erschossen wurde, weil sie Hilfe holen wollte, und dass John Crawford erschossen wurde, weil er durch ein Kaufhaus schlenderte. (…).“ Und Coates resümiert: „Und spätestens jetzt weißt du, dass die Polizeireviere deines Landes mit der Befugnis ausgestattet sind, deinen Körper zu zerstören (…). Die Zerstörer werden selten zur Rechenschaft gezogen.“

Vor der Willkürlichkeit von Festnahmen und Gewaltanwendungen warnt er seinen Sohn – und seine Leser – ausdrücklich. Bestechend ist aber nicht nur der persönliche Ton und die Dringlichkeit von Coates‘ Anliegen, sondern auch seine Analyse der strukturellen Gewalt in den Vereinigten Staaten. Rassismus ist integraler Bestandteil des amerikanischen way of living, denn „Amerikaner glauben an Rasse als fest umrissenes, naturgegebenes Merkmal unserer Welt“, so Ta-Nehisi Coates. Für Amerikaner sei daher beispielsweise die Vertreibung der amerikanischen Ureinwohner auf dem Trail of Tears ähnlich zu beklagen wie ein Erdbeben, ein Tornado oder jedes andere Phänomen, das des Menschen Werk übersteigt. Verantwortungsübernahme, Eingeständnis von Schuld und mögliche „Wierdergutmachtung“ – auch wenn nur bedingt möglich -, sind so von vorneherein ausgeschlossen. Gewalt wird bestenfalls bedauert, nicht aber reflektiert und ursächlich verstanden. Dabei, so Coates in einem Kapitel über die Ankunft der Europäer auf dem amerikanischen Kontinent und der Inbesitznahme des Landes, sind „Rassen“ nichts anderes als Fiktionen: „Die neuen Menschen waren etwas Anderes bevor sie weiß wurden – Katholiken, Korsen, Waliser, Mennoniten, Juden – (…)“.

Doch brachte die neue Erfindung der Rassen Vorteile, einen Machtgewinn mit sich, der nützlich war, um sich das neue Land anzueignen und später mit Hilfe von Sklaven wirtschaftlich wettbewerbsfähig zu machen: „Die Definition eines ‚Volkes‘ hatte nie etwas mit Abstammung und Physiognomie zu tun, sondern immer mit Hierarchie“, schreibt Coates. (…) „Der Gedanke an die Überlegenheit von Haut und Haar, der Gedanke, diese Faktoren könnten eine Gesellschaft angemessen strukturieren und würden auf tiefere, unauslöschliche Eigenschaften hinweisen – das ist der neue Gedanke gewesen im Herzen dieser neuen Menschen, die rettungslos in dem tragischen Irrglauben genährt wurden, weiß zu sein.“

Allerdings gibt es in den USA seit dem Vorfall von Ferguson im Herbst 2014 eine Welle an öffentlicher Kritik an der ubiquitär verbreiteten Polizeigewalt. Darüber erfährt man in Europa wenig. Im März 2015 hatte die US-Regierung eine Task Force ins Leben gerufen, um die Polizei zu reformieren. Im neuen Abschlussbericht findet sich nun endlich eine andere Sprache. Da ist von „friedlich“, „deeskalieren“ und „Anti-Konflikt-Training“ die Rede. Das lässt, auch wenn den edlen Worten noch Taten folgen müssen, zumindest schwache Hoffnung aufkommen.

Zu den Veränderungen dürfte auch die demographische Entwicklung beigetragen haben. Schwarze und Hispanics haben eine ungefähr doppelt so hohe Geburtenrate wie Weiße. Die Zeiten, in denen eine überwiegend weiße Polizei widerspruchslos als eine Art Besatzungsmacht gegenüber der schwarzen Bevölkerung auftreten kann, werden jedenfalls vorbei sein.

„Zwischen mir und der Welt“ ist auch für Europäer höchst lesenswert. Denn Rassismus ist keineswegs ausschließlich eine amerikanische Angelegenheit. Die sich mittlerweile beinah täglich ereignenden Brandanschläge in Deutschland auf Flüchtlingsunterkünfte sowie die rassistischen Äußerungen vieler europäischer Politiker gegenüber vor Krieg, Not und Terror Geflüchteten sprechen eine deutliche Sprache.

 

Ta-Nehisi Coates: Zwischen mir und der Welt
Übersetzt von Miriam Mandelkow
Hanser Verlag,  Berlin 2015
240 Seiten, 19,90 Euro

 

 

 

© Tanja Dückers, Berlin, Februar 2016

 

Nach oben scrollen
WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner