Rückzug in den Patriotismus

ZEIT  Online, 30. Mai 2008

Die CDU hat ein Problem: Sie will das weltläufige Bürgertum vertreten und lebt zugleich in einer Symbiose mit dem rechtspopulistischen Parteiflügel. Auf die Reaktionären will auch Angela Merkel nicht verzichten

Der Rückzug des designierten Thüringischen Kultusministers Peter Krause erfolgte nach einem bei der CDU mittlerweile schon bekannten Ritual. Zunächst erregte der promovierte Germanist mit zweifelhaften Kommentaren Aufmerksamkeit, dann fühlte er sich falsch verstanden und sogar verfolgt: Nicht seine Ansichten hätten ihn für das Amt disqualifiziert, vielmehr sei eine Kampagne gegen ihn geführt worden, der er nun zum Opfer fiele!

Gut möglich, dass sein Abgang nicht ganz freiwillig erfolgte. Vielleicht wurde von der Parteizentrale ein wenig nachgeholfen. Mit einem Kultusminister, der in seiner Vergangenheit Claus Graf Schenk von Stauffenberg als Mittäter des 20. Juli bezeichnet hat und das Horst-Wessel-Lied, die Hymne der NSDAP, auf Lateinisch in einer rechtsextremen Zeitung veröffentlichte, hätte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel auf die Dauer ihre Schwierigkeiten gehabt.

Auch wenn die CDU im Fall von Peter Krause gerade noch die Notbremse zog, kann sie ein strukturelles Problem nicht mehr verschleiern: Denn während sich die Parteiführung um Bundeskanzlerin Angela Merkel um ein einigermaßen liberales Image bemüht, scheren immer wieder CDU-Funktionäre nach rechts außen aus. So lobt Merkel unentwegt die Zivilgesellschaft, kritisiert autoritäre Regime und trifft den Dalai Lama. Sie weiß, dass einflussreiche Teile der Wirtschaft auf eine offene Gesellschaft setzen, weil Innovation und Kreativität nicht mit einem von dumpfen Ressentiments geprägten Land zu vereinbaren sind – von dringend benötigten ausländischen Fachkräften ganz zu schweigen. Und so versucht Angela Merkel, das junge, urbane Bürgertum anzusprechen, das mit verstaubten Stammtischparolen nichts mehr anzufangen weiß. Schließlich sind ohne diese Schichten, wie jüngst in Hamburg deutlich wurde, keine Wahlen und keine Mehrheiten mehr zu gewinnen.

Doch allein mit der – partiellen – Zustimmung des sogenannten neuen Bürgertums ist Erfolg nicht garantiert, denn vor allem in der unteren Mittelschicht dominiert mittlerweile die Angst vor sozialem Abstieg. Nach neuen Studien von McKinsey und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ist die Mittelschicht dramatisch geschrumpft; eine Fortsetzung dieser Entwicklung wird prognostiziert. Und wer nicht mehr zur Mittelschicht gehört, ist meist nicht auf-, sondern abgestiegen.

Während auf der einen Seite die Regierung ökonomische Globalisierungsprozesse und Internationalität fördert, ist auf der anderen Seite die Flucht ins Nationale, die patriotische Introversion, die Suche nach Geborgenheit im Vertrauten, Regionalen eine weit verbreitete Antwort auf diese berechtigten und keineswegs paranoiden Abstiegsängste. Hierbei wird jedoch von einem Heimatbegriff ausgegangen, der ideengeschichtlich noch im spätromantischen nationalstaatlichen Denken des 19. Jahrhunderts verankert ist.

Mit ihrem obsoleten Weltbild schaden die neuen Rechten jedoch ihrem geliebten Vaterland: Denn nach Ansicht vieler Experten beeinträchtigt die Fremdenfeindlichkeit, die keineswegs nur ein Problem der neuen Bundesländer ist, die hiesige Wirtschaft in nicht unerheblichem Maße. Die vielen Überfälle auf ausländische Mitbürger sind auch Gegenstand der Presse in Ländern wie Indien, Vietnam und Thailand gewesen – wer es vermeiden kann, geht nicht mehr nach Deutschland. Daher hat die CDU das Problem, einerseits das gehobene weltläufige Bürgertum vertreten und andererseits in einer dauerhaften Symbiose mit dem rechtspopulistischen Parteiflügel leben zu müssen.

Zuletzt versuchte Roland Koch in Hessen mit seinem ausländerfeindlichen Wahlkampf, die von Abstiegsängsten befallene Mittelschicht für sich zu gewinnen. Kurz zuvor machte der baden-württembergische Ministerpräsident Oettinger von sich reden, als er den ehemaligen NS-Marinerichter Filbinger in einer Grabesrede verteidigte. Erst nach einem Machtwort aus Berlin sah sich Oettinger genötigt, sich von seiner Aussage zu distanzieren. Aber auch er fühlte sich natürlich falsch verstanden und als Opfer einer Medienkampagne.

Dass die Affinität nach Rechtsaußen bei den Konservativen nicht nur Sache einiger Spitzenfunktionäre ist, sondern sich auch beim Nachwuchs großer Beliebtheit erfreut, zeigen aktuelle Beispiele aus Hamburg: So ermittelte die Staatsanwaltschaft im März gegen den Kreischef der Jungen Union in Hamburg-Nord, Alexander Weiß, wegen Beleidigung. Der 22-jährige Jurastudent soll eine südländisch aussehende Kommilitonin als Niggerschlampe beschimpft und Nicht-Arier als eine Schande für das Juristentum bezeichnet haben.

Der Vize-Kreischef der Schüler-Union im Kreis Altona, Patrick Schlemmer, warf dem Hamburger CDU-Senat Anfang April eine asoziale Politik und einen Kuschelkurs gegenüber Migranten vor. Er forderte ein Ende der Zuwanderung, Integrations-Zwang für Ausländer sowie ein Schächtverbot für Muslime. Konsequenterweise kandidierte er dann bei der Bürgerschaftswahl für die rechtsradikale DVU.

Was in der Weltstadt Hamburg selbst bei der Bild -Zeitung noch für Empörung sorgte, sieht in der thüringischen Provinz schon anders aus. Ähnlich wie im benachbarten Sachsen und Sachsen-Anhalt besteht in Thüringen die Gefahr, dass sich die NPD als kommunal- und landespolitische Kraft etablieren kann. Nicht nur in Browntowns wie Apolda, Gera oder Gotha, in denen Angriffe gegen politische Gegner oder Ausländer zum Alltag gehören, auch in Großstädten wie Erfurt fällt ein Blatt wie die Junge Freiheit im Zeitungsständer kaum mehr auf oder gilt sogar als moderat, weil dort mit der Nationalzeitung oder der Deutschen Stimme oft noch radikalere Presseerzeugnisse zu finden sind.

Dass Peter Krause seine Tätigkeit als Redakteur bei der Jungen Freiheit im Nachhinein nicht bedenklich findet, mag am allgemeinen Gewöhnungs- und Abstumpfungsprozess gegenüber rechtsnationalem Gedankengut liegen. Doch mit seinem Rücktritt hat sich das Problem nicht erledigt: Es wird sicher nicht lange dauern, bis der nächste Vertreter des nationalkonservativen Lagers auftaucht. Und, je nach Stimmungslage und Wahlprognose, hat er dann bessere Chancen auf ein CDU-Ministeramt. Im Zweifelsfall wird auch Angela Merkel dies nicht verhindern können. Denn auf den reaktionären Flügel der CDU will sie nicht verzichten.

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