Kritik mit Radkappe. Eine Ausstellung in Berlin dokumentiert politische Aktionskunst des 20. Jahrhunderts

Jungle World, 27. Oktober 2004

„legal/illegal“ ist der Titel der neuen Ausstellung in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) – ein Titel, der hält, was er verspricht: 20 Künstler präsentieren Arbeiten, die eine Gratwanderung zwischen „noch erlaubt“ und „kriminell“ beschreiten und diesen Grat in manchen Fällen auch schon eindeutig überschritten haben. Die Grenzen zwischen künstlerischer Inszenierung und politischen Aktionismus verwischen hier zunehmend, der geläufige museale Rahmen der Präsentation von Kunst wird oft weit hinter sich gelassen bzw. gesprengt. Bisher hat es noch nirgendwo eine Ausstellung mit diesem Themenschwerpunkt gegeben, daher ist allein der Mut der Kuratoren, solch ein ungewöhnliches Projekt zu realisieren, zu loben – . Die unter dieser Thematik zusammengefaßten Künstler und Künstlerinnen stammen aus sehr verschiedenen Epochen (wenngleich das Projekt zeitlich mit dem Anfang des 20. Jahrhunderts einsetzt): Futuristen, Dadaisten, Situationisten, Fluxus- und Konzeptkünstler wie auch gegenwärtige weniger bekannte Namen sind vertreten. Man merkt: Bei „legal/illegal geht es nicht ums Name-Dropping, sondern wirklich darum, wer inhaltlich dazugehört. Allen Künstlern gemein ist das Bedürfnis, Kunst nicht nur um ihrer selbst Willen zu kreieren, sondern gesellschaftspolitisches Engagement auch mit künstlerischen Mitteln zu betreiben. Entsprechende Konsequenzen werden dabei vorher miteingeplant und in Kauf genommen.

Die Vorgehensweisen der Künstler: ihre jeweilige Überschreitung der Legalität, fällt dabei sehr unterschiedlich aus, wobei „Humor“ und „Ironie“ sowie die Berücksichtung ästhetischer Gesichtspunkte und Momente (im absoluten Unterschied zur „reinen“ Kriminalität, die Gesetze nur um ihrer selbst Willen bricht) oft wiederzufindende Charakteristika und Gemeinsamkeiten dieser „anarchischen Kunst“ sind.

Abbie Hoffman zum Beispiel ließ an der Wallstreet 100 Ein-Dollarnoten apart von der Zuschauertribüne herunterregnen. Die Broker und Banker balgten sich prompt – ganz wie es das Klischee will – um die Scheine. In Folge des allgemeinen Tumults kam die New Yorker Börse für einige Stunden zum Stillstand.

Dennis Oppenheim wiederum entfernte heimlich die Radkappen von dicken Schlitten in Kalifornien (u.a. von Zuliefer-Fahrzeugen des durch Johnny Cashs Konzert berühmten Knasts St. Quentin) und baute sie vor dem Staatsgefängnis St. Quentin auf. In der NBGK haben die vielen auf dem Boden verteilt liegenden glänzenden Radkappen – kaum eine gleicht der anderen – eine sehr ästhetische Qualität. Oppenheimer ist es neben dem mit einem gewissen Schalk betriebenen gesellschaftskritischen Statement gelungen, die Radkappen von ihrer Funktionalität zu befreien und ihnen eine skulpturale Größe zu verleihen.

Auch Ann Messners Arbeit – eine Fotodokumentation von einer öffentlichen Performance – hat neben der gesellschaftspolitischen Bedeutung eine stark ästhetische Qualität: In „Balloon in the subway rush“ bläst sie einen sehr großen Luftballon mitten in einer überfüllten New Yorker U-Bahn zur rush hour auf. Auf jedem weiteren Foto kann man sehen, wie der Ballon mehr Platz, sprich: U-Bahn Fährgäste, verdrängt. Die Arbeit kann als ironischer Kommentar zur Arbeits- und Lebenssituation der 9 to 5-Angestellten verstanden werden.

Janice Kerbel legt in „Bank Job“ einen fein säuberlich ausgearbeiteten, detailreichen Schlachtplan für einen Banküberfall in London vor. Da gibt es eine Karte mit liebevoll eingezeichneten Fluchtwegen sowie verschiedene Fotos der Bank, die wirklich jeden Winkel beleuchten. Dieser Schlachtplan ist keine Fiktion, sondern realistisch – und wurde, nachdem er in Buchform erschien – bald verboten.

Eine Aktion, die den Rahmen künstlerischer Stellungnahme zu gesellschaftspolitischen Prozessen weiter ausdehnt oder auch neu formuliert, ist Tony Labats Entführung „Kidnap attempt“ des Kandidaten der kalifornischen Gouverneurswahl Lowell Darling. Darling, der früher selber Künstler war, wurde überfallen und in ein Auto gezerrt. Er wurde erst wieder freigelassen, nachdem er über seine Gründe zu kandidieren, ausführlich befragt worden war.

Der Titel legal/illegal macht jedoch noch auf einen anderen Aspekt aufmerksam: Er verweist auf ein transitorisches Moment, denn die Vorstellung von dem, was in einer Gesellschaft als „recht“ und legitim bezeichnet wird, ist einem kontinuierlichen Wandlungsprozeß unterworfen. Aus „legal“ kann schnell „illegal“ werden und umgekehrt. Die Begriffe markieren lediglich die beiden Enden oder Pole eines Kontinuums. Allein die Etablierung eines Künstlers kann zum Beispiel auch schon eine veränderte Wahrnehmung einer seiner Aktionen mit sich führen (z.b. im Fall von Dennis Oppenheim, der längst eine Ikone der amerikanischen Kunst des 20. Jahrhunderts geworden ist). Mit dem Aufkommen der situativen Kunst in den 60er Jahren und nachdem das (unfreiwillige) Publikum bzw. die Öffentlichkeit sich langsam an spontane Happenings etc. „gewöhnt“ hatte, wurden einige Aktionen positiver bewertet als dies noch wenige Jahre zuvor vorstellbar gewesen war. Auch von Land zu Land unterscheidet sich die Rezeption und die Toleranz gegenüber dem „invasiven Kunstwerk“ bzw. der grenz- und gesetzübertretenden Performance/Aktion.

Der Höhepunkt dieser den Staat und die Gesellschaft herausfordenden, provokativen Kunst ist – trotz einiger Beispiele aus der Gegenwart – sicher überschritten, denn zur Zeit finden sich in der Kunst leider bisweilen Züge eines „neuen Biedermeiers“, von dem zum Beispiel Norbert Biskys sich rasant verkaufenden blonden Jünglinge und Reigen tanzenden Mädchen ein beredtes Bild abgeben.

Gesellschaft für Bildende Kunst e.V.

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