Dirndl zu Gebetsteppichen. Die Ausstellung „Heimatkunde“ im Jüdischen Museum Berlin

Das Jüdische Museum in Berlin wird zehn Jahre alt und hat das Jubiläum zum Anlass genommen, die Ausstellung »Heimatkunde – 30 Künstler blicken auf Deutschland« zu präsentieren. Von so ­etwas wie »nationaler Identität« will die Kuratorin Cilly Kugelmann allerdings nichts wissen. Vielmehr gehe es in der Ausstellung darum, wie »ethnische« und eingebürgerte Staatsbürger, zugereiste Ausländer, Juden, Muslime, Christen und religiös Indifferente über Deutschland denken oder welche Vorstellungen sie von den Deutschen – oder von sich selbst als Deutsche – haben. Die durch die Ausstellung aufgeworfenen Fragen lauten: Wie verbinden Zugewanderte jedweder Herkunft und Religion ihre mitgebrachte Lebenskultur mit einer für sie neuen Realität? Wie verändert Zuwanderung sowohl Migranten als auch Einheimische? Gibt es so etwas wie eine kollektive Identität in einem Land, dessen Embleme und Symbole durch den Na­tionalsozialimus geprägt sind und nicht mehr unbefangen zitiert werden können? Die Ausstellung gibt subjektive Antworten, aber gerade aus der Vielzahl der Einzeldarstellungen entsteht in der Gesamtschau ein facettenreiches Bild von Deutschland.

In ihrer Bilderserie »Dirndlmoschee« präsentiert sich die 1976 in Sarajevo geborene Künstlerin Azra Aksamija in einem schlichten dunklen Dirndl, das sie mit wenigen Handgriffen in einen Hijab verwandelt. Aus der Schürze wird ein Gebetsteppich, und das Schmuckstück am Karabinerhaken entpuppt sich als Kompass, mit dem die Gebetsrichtung nach Mekka bestimmt werden kann. Fertig ist eine kleine tragbare Moschee mit Platz für drei Personen zum Niederknien.

Die begehbare Installation »Windhauch Windhauch« von Via Lewandowski und Durs Grünbein ist dem Wartebereich einer deutschen Behörde nachempfunden: ein Raum mit Plastikschalenstühlen unter grellem Neonlicht. Über die Lautsprecher dringen Seufzer, Stöhnen, das Rascheln von Papier oder das Klappern der Tastatur in den Raum. Man hört, wie eine Schublade geöffnet und wieder geschlossen wird. So klingt der Büroalltag in einer Behörde. Dazwischen werden Passagen aus dem Buch Kohelet gelesen: »Wissen ist besser als Macht, aber das Wissen des Armen gilt nichts, und niemand will seine Worte hören.« Oder »Denn mit der Fülle der Geschäfte kommen die Träume und mit der Fülle der Worte die Nichtigkeiten.« (Koh 5,6, a)

Das Künstlerpaar Lilli Engel und Raffael Rheinsberg hat ein Environment mit dem heiter-paradoxen Titel »Naturkunstzelle« geschaffen, eine Art deutscher Wald in Miniaturaus­gabe. Die beiden spielen mit dem Mythos des deutschen Waldes als romantischer Ort des Rückzugs und der Verweigerung gegenüber der Moderne, als Ort melancholischer Geborgenheit und philosophischer Einkehr.

Auf Provokation setzt die Arbeit von Ronen Eidelman. Im Jahr 2008 entwickelte der in New York geborene, in Israel aufgewachsene Künstler, Politaktivist und Blogger die Idee zu seinem Projekt »Medinat Weimar«. Im Dezember 2005 hatte der iranische Präsident Mahmoud Ahmadinejad die Umsiedlung Israels nach Deutschland gefordert, Deutschland und Österreich sollten Teile ihres Territoriums für einen jüdischen Staat zur Verfügung stellen. Eidelman distanziert sich zwar von der Poltik Ahmadinejads und seiner Leugnung des Holocaust, möchte den Umzugsvorschlag aber zur Diskussion stellen. Das »Medinat Weimar« soll nach seinen Plänen in dem von Bevölkerungsschwund und Rechtsradikalismus geprägten Thüringen errichtet werden. Sein Projekt bewirbt er so: »Medinat Weimar kann eine wichtige Rolle sowohl im Kampf gegen primären Antisemitismus, sekundären Schuldabwehr-Antisemitismus und problematische Auswüchse des Philosemitismus spielen sowie einen Beitrag leisten, ethnischen Selbsthass und andauernde Konflikte zwischen jüdischen, arabischen und muslimischen Gruppen zu überwinden.«

An anderer Stelle wird darauf verwiesen, dass der neue jüdische Staat »einen ökonomischen und kulturellen Aufschwung für Thüringen« bedeuten würde. Abschließend wird noch erklärt, dass das Projekt »keine praxisorientierte Bewegung« darstelle, sondern versuche, »provokante Fragen« zu stellen und »Anregungen zu liefern«. Das hatte man sich fast gedacht.

Eindrucksvoll sind die Fotografien der Serie »Ich werde Deutsch« von Maziar Moradi. Es sind Bilder von Menschen in alltäglichen Situationen, in denen sich dennoch eine Kluft zwischen Herkunft und neuer Heimat offenbart: Der Arzt, der im OP-Kittel seinen lange ersehnten deutschen Pass in der Hand hält. Die schwarze Frau, die in einem Spielzeugladen zwischen lauter Puppen mit blondem Haar und blauen Augen steht. Auf einem anderen Foto sieht man einen dunkelhäutigen Mann am Steuer. Seine Beifahrerin, eine adrette, blonde Frau im Kostüm, hat sich von ihm abgewandt und starrt aus dem Fenster. Von den Bildern geht eine suggestive Kraft aus. Es sind Momentaufnahmen, die ganze Biographien erzählen.

Die Schwestern Anny und Sibel Öztürk haben eine amüsante Collage zum Thema »Deutschsein« geschaffen. »Ich sehe mich als englische, tibetanische Wanderseele, die zufällig in Deutschland gelandet ist und ihren Körperbau türkischer Herkunft verdankt«, erklärte Anny Öztürk in einem Interview.

Miguel Rothschilds Arbeit »Nightmare« ist während eines Aufenthalts in der Künstlerresidenz »Villa Aurora« in Kalifornien entstanden, in der einst der von den Nazis gejagte Schriftsteller Lion Feuchtwanger wohnte. Auch Rothschilds Familie wurde von den Nazis aus Deutschand vertrieben, sie fand in Argentinien eine neue Heimat. Als Grundlage seiner Arbeit verwendete er eine Teleskopaufnahme des Griffith Observatory in Kalifornien und stellte mit Nagelköpfen den Sternenhimmel nach. Der romantisch anmutende Himmel über der neuen Heimat, der bei näherer Betrachtung vernagelt oder perforiert erscheint, hat etwas von einer ausgelöschten messianischen Hoffnung und erinnert an Walter Benjamin, der sich sich auf der Flucht vor den Nazis im malerischen Portbou an der Costa Brava das Leben nahm.

Die Literaturwissenschaftlerin Mirjam Wenzel verweist im Katalog auf die jüdische Tradition des »kosmopolitischen Gedächtnisses«: »Mit dem bevorstehenden Ende der Zeitzeugenschaft und der ansteigenden Bedeutung einer sich dem nationalstaatlichen Gedächtnismonopol entziehenden Erinnerungskultur stehen Jüdische Museen in Deutschland zunehmend vor der Aufgabe, einen kosmopolitischen Blick auf die Gegenwart und Vergangenheit zu werfen und damit eine Perspektive zu eröffnen, die in der Moderne stets als genuin jüdisch galt.«

Während zahlreiche Berliner Ausstellungen darum wetteifern, als besonders »politisch« wahrgenommen zu werden, ist dem Jüdischen Museum fast nebenbei eine bemerkenswert politische Ausstellung gelungen.

Heimatkunde. 30 Künstler blicken auf Deutschland. Jüdisches Museum Berlin. Bis 29. Januar 2012

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