Der Papst ist nicht der richtige Mann zur richtigen Zeit

Benedikt verweigert der Kirche ihre Lebendigkeit. Nicht die Botschaft, aber die Kirche selbst sollte fähig zum Wandel sein. Tanja Dückers kommentiert.

Der Amtsantritt von Joseph Ratzinger jährte sich gerade zum fünften Mal. Vielerorts wurde eine kritische Bilanz seines bisherigen Pontifikats gezogen. Es gibt in der Tat viele Gründe, Papst Benedikts XVI. Amtszeit zu kritisieren – von seiner Düpierung der Protestanten mit der Bemerkung, die evangelischen Kirchen seien „keine Kirchen im eigentlichen Sinn“, bis hin zu seiner Behauptung, die kolonisierten Urvölker Lateinamerikas hätten die Religion der europäischen Eroberer „ersehnt“ und zu seiner Forderung nach der Seligsprechung von Papst Pius XII.

Sehr irritierend auch das von Hans Küng in Erinnerung gerufene Schreiben vom Mai 2001, in dem der damalige Präfekt der Glaubenskongregation – Joseph Ratzinger – die in den Bistümern bekannt werdenden Fälle von Missbrauch unter das Secretum Pontificium gestellt haben soll, also unter strengste Geheimhaltung. Über Kritik an diesen Punkten wie auch über Papst Benedikts Ablehnung der Homosexualität herrscht weitgehend Einigkeit.

Doch wird Papst Benedikt XVI. auch zugute gehalten, dass er ein „Hüter der Tradition“ sei .In der Welt hat der Schriftsteller Martin Mosebach ausgeführt, warum er glaubt, dass Benedikt der rechte Mann zur rechten Zeit sei. Denn „(…) es wird deutlich, dass der Papst es mit seinem Kampf gegen den Relativismus ernst meint und dass er vor allem die Katholiken dafür gewinnen will, wieder katholisch zu sein.“

Mosebach ist nicht der Einzige, der fürchtet, die Kirche würde zerfallen, wenn sie sich nicht vehement gegen jede Form von Änderung sträuben würde. Tatsächlich scheinen die Glaubenshüter wenig Vertrauen in die Überzeugungskraft der Botschaft zu haben. Sie scheinen der Kirche nicht zuzutrauen, dass sie die Menschen auch von ihrer Botschaft überzeugen könnte, wenn sie – nicht die Botschaft, sondern die Kirche als Institution – sich als wandlungsfähig erweist. Sie halten der Kirche Standhaftigkeit zugute – und verwechseln Starrsinn mit Identität.

Es ist eine Binsenweisheit: so wenig wie es per se gut ist, sich zu verändern und zu wandeln, so wenig ist es per se positiv zu bewerten, sich a priori gegen jede Form von Veränderung zu wehren. Bei Mosebach und anderen werden jedoch Wandel und Veränderung grundsätzlich nur negativ bewertet – was erstaunt angesichts von Jesus Christi turbulentem Leben, in dem er mehr als einmal sich widersprechende Äußerungen getätigt hat, insgesamt als versatiler, flexibler, wandlungsfreudiger Mensch beurteilt werden kann.

Mosebach macht es sich zu einfach, wenn er kokett-vereinnahmend sagt: „Wieso empfindet eigentlich keiner der kritischen Köpfe Unbehagen bei der Forderung, die Kirche müsse sich der Gegenwart und ihren gesellschaftlichen Tagesvorstellungen vorbehaltlos unterwerfen?“ Doch die Zuspitzung zielt ins Leere, niemand spricht hierzulande von vorbehaltsloser Unterwerfung, und ernsthafte Kirchenkritiker sind selten Freunde geschichtsvergessener, banaler Diesseitigkeit. Umgekehrt allerdings verlangt diekatholische Kirche, dass man sich ihren Richtlinien vorbehaltlos zu unterwerfen hat – ob eine Mutter im Sudan dann bei der Geburt ihres neunten Kindes stirbt oder nicht.

Darüber hinaus verwechseln die Gesinnungsgenossen von Papst Benedikt XVI. die christliche Botschaft mit den Übermittlern der Botschaft in ihrer Kritik an der vermeintlichen Zeitgeistigkeit: Die christliche Botschaft, die – eigentlich (vorausgesetzt, die Kirche würde Homosexuelle nicht abwerten) – Ausdruck einer universalen Menschlichkeit ist, kann zurecht den Anspruch erheben, nicht dem Zeitgeist angepasst zu werden. Denn sie ist eine Seinslehre, die die Achtung und den Schutz des menschlichen Lebens ins Zentrum hebt, die das Leben nicht darwinistisch-utilitaristisch definiert, sondern ideell – sie versteht sich als integraler Bestandteil der conditio per quam (hinreichende Bedingung) im Gegensatz zur conditio sine qua non (notwendige Bedingung), somit als spirituell-anthropologische Grundkonstante.

Doch wie steht es um die Mittler, die Überbringer der frohen Botschaft?

Um die Lehre von der Heiligkeit des Lebens und die mit dieser Botschaft aus Sicht der katholischen Kirche verbundenen moralischen Handlungsanweisungen unter die Völker im 21. Jahrhundert zu bringen, kann man sich nicht darauf versteifen, auf die gleichen Mittel wie zu Christi Zeiten zu rekurrieren.

Wenn man heute noch argumentiert (so unlängst der jüngste Bischof Deutschlands, Franz-Josef Overbeck, in der ARD-Talkshow Anne Will), dass eine Frau kein Priesteramt bekleiden dürfe, weil Jesus Christus nur Männer – die Apostel – als Mittler der göttlichen Botschaft ausgewählt habe, dann dürften nach dieser Logik Bischöfe auch nicht im Fernsehen auftreten oder das Internet benutzen.

Mit solch einer Argumentation im Sinne Papst Benedikt XVI. erkennt man nicht an, dass sich die Gesellschaft in zweitausend Jahren gewandelt hat und lässt als Kollateralschaden die Kirche alt und weltfern aussehen. Das gilt zum Beispiel für Maßnahmen gegen Überbevölkerung oder Schutz vor Krankheiten wie Aids: Weil Jesus Christus von Nazareth mit diesen Problemen nicht konfrontiert war, kann die Kirche ihre Augen heute nicht vor ihnen verschließen; sie muss sich mit den realen, gegenwärtigen Malaisen der Menschen, deren Wohlergehen sie ins Zentrum ihrer Lehre gerückt hat, beschäftigen. Was früher vielleicht die Lepra war, ist heute eben Aids.

„Da die Kirche Jesu Christi auf die Überlieferung dessen verpflichtet ist, was sie empfangen hat, kann es keine Revolution in ihr geben“, behauptet Martin Mosebach ohne diese vermeintliche Verpflichtung kritisch unter die Lupe zu nehmen und ohne Glaubensbotschaft von der Vermittlung, von menschlichem Regelwerk und administrativen Drumherum zu trennen. Mosebach glaubt, dass Botschaft und Vermittlung in der katholischen Kirche nicht voneinander zu trennen seien. Diese Annahme ist ein Trugschluss, die die Zeremonie über die Lebendigkeit und Wandlungsfähigkeit des Lebens an sich – eigentlich der Inhalt der christlichen Botschaft – stellt.

Auch wird mit dieser Annahme in der Konsequenz jedem Menschen, der sich von der katholischen Kirche als Institution verabschiedet hat, der Glaube abgesprochen. Denn der Inhalt soll ohne die als angemessen ästhetisch empfundene, unveränderliche Form nicht existieren können. Bei dieser ganzen Formhuberei, die an die kirchentheoretischen Auseinandersetzungen aus der Zeit vor Luther erinnern lässt, wird schnell klar, dass es den neuen großbürgerlichen Kirchenbefürwortern à la Mosebach vor allem um eines geht: elitäre Abgrenzung. Deshalb sind sie auch für die Wiedereinführung der tridentinischen Messe (in lateinischer Sprache), womit sie vor die Errungenschaften des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) zurückgehen. Die Kirche soll nicht mehr fürs Volk da sein, sondern eine weltabgeschiedene Gemeinschaft für kulturkonservative Ästheten bieten. Natürlich äußern sich diese nicht zum sozialen Anspruch der Kirche, denn dieser Aspekt der Kirche interessiert sie nicht, Armut steht nicht auf ihrer Agenda. Mosebachs Arroganz tritt deutlich in folgender Äußerung über die Kirche zutage: „Ihr Ziel ist Universalität, aber nicht um den Preis der Aufgabe ihrer Wahrheit. Wenn diese Wahrheit nicht mehr mehrheitsfähig ist, umso bedauerlicher für die Mehrheit.“

Arme Mehrheit. Im Zentrum der christlichen Lehre steht jedoch der Mensch (als Repräsentant aller Menschen) an sich und nicht der abgehobene Ästhet par excellence. Es scheint, dass einige wertkonservative Papstverteidiger die katholische Kirche als ein Museum Alter Meister betrachten. Ihr Blick auf die Kirche ist der eines Kunsthistorikers: Ein Gemälde von Da Vinci darf natürlich nicht einfach dem Zeitgeist entsprechend verändert werden. Aber die Kirche ist weder ein Museum noch ein Mausoleum.

Für viele, vor allem weniger saturierte Menschen, die auf neogroßbürgerliches Goutieren der Messe auf Latein verzichten können, hat sie eine existenzielle Bedeutung: Die Kirche, vielmehr die Kirchen, sind schwer ersetzlich. In unserer kriegerischen und konfliktbeladenen Zeit gibt es keine wichtigere Botschaft als die der Nächstenliebe, als die hiermit verbundene Aufforderung zum Perspektivenwechsel.

Auch bieten die Kirchen in Zeiten, die weltweit von Nationalismus und Rassismus geprägt sind, in denen die Zugehörigkeit zu einem Land oder einer Ethnie höher gehandelt wird als der Mensch selbst in seiner Würde und Einzigartigkeit, eine universale Gemeinschaft. Jeder, ob in Bayern, im Sudan, in Südkorea oder in Brasilien geboren, kann ihr theoretisch angehören. Die Kirchen bieten auch, räumlich wie gedanklich, Orte des Einhalts, der Konzentration und der Stille. Aber es handelt sich hierbei um eine lebendige Stille, eine erfüllte Ruhe, keine Totenstille, keine Erstarrung.

Benedikt ist nicht der richtige Mann zur richtigen Zeit. Denn er verweigert der Kirche ihre Lebendigkeit, die untrennbar mit der Fähigkeit zum Wandel ohne Identitätsverlust verbunden ist.

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