Der Fortschritt als Langsamgeher. Frauen im Literaturbetrieb (FAZ Online, Juni 2015)

veröffentlicht auf FAZ Online, Juni 2015


Die alten Kerle, die junge Schriftstellerinnen lieber verschlingen als ernst nehmen wollen, streben glücklicherweise aus. Jetzt wollen wir 100 Prozent Honorar und die Hälfte der Preise

Carl Spitzweg malte seinen berühmten „Armen Poeten“ 1839 in einem zugigen, ungemütlichen Dachstuhl, mit dicken Plumeaus im Bett liegend – der Dichter friert, denn er hat kein Geld um zu heizen. Die einsame und frierende Dichterin hingegen, sie fand nicht mal den Weg auf ein mitfühlendes Gemälde der Spätromantik. Vermutlich hatte sie das Schreiben oder vielmehr die Träume vom Schreiben längst an den Nagel – neben Topflappen und Rührlöffel – gehängt und sich um ihre frierende Kinderschar in der zugigen Stube gekümmert.

Wie aber sieht die Lage der Schriftstellerinnen im deutschsprachigen Raum heutzutage aus? Auf den ersten Blick könnte man meinen, es sei schon vieles erreicht. Heute publizieren mehr Schriftstellerinnen als je zuvor. Doch die Zeiten, in denen ältere männliche Literaturkritiker erstaunt zur Kenntnis nahmen, dass gleich zwei Handvoll jüngerer Autorinnen in namhaften Verlagen veröffentlichten durften – das Ganze wurde pseudo-affirmativ und verniedlichend mit dem Begriff „Fräuleinwunder“ belegt – sind nicht lange her.

Ich habe damals angesichts der ebenso großen Flut sehr junger männlicher Autoren wie Benjamin Lebert, Benjamin von Stuckrad-Barre und Christian Kracht versucht, den Begriff des „Männleinwunders“ zu etablieren, aber, wie Sie gemerkt haben dürften, er hat sich nicht durchgesetzt.

Doch nachdem der Begriff „Fräuleinwunder“ – er hielt sich erschreckend lange, ungefähr eine Dekade lang – endlich in der Versenkung verschwand, änderte sich nicht wirklich etwas an der Wahrnehmung von Autorinnen. Nach wie vor wird in Rezensionen eher über das Äußere oder das Privatleben einer Autorin berichtet – im Vergleich zu Rezensionen von Titeln männlicher Autoren. Von einem führenden Literaturkritiker des Landes musste ich mir anhören: „Ach, diese positive Kritik Ihres Erzählungsbandes, die kann ich mir gar nicht erklären – der Rezensent hat sich sicher in Ihr Foto verliebt!“ Ein Verleger raunte mir bei einer eher steifen Veranstaltung über die Folgen des Zweiten Weltkriegs, auf der ich einen Roman vorstellte, zu: „Wie schade, dass man heute nicht mehr alle Autorinnen mit Haut und Haaren verschlingen kann!“ Die Krönung war und blieb eine Rezension in der „Berliner Zeitung“ von einem mir bis dato unbekannten Germanistikprofessor der Humboldt-Universität: „Mit diesem Buch hat Tanja Dückers einen schlechten Blowjob hingelegt.“

Ein Problem stellen natürlich auch Kinder dar. Während männliche Kollegen, auch wenn sie mehrere Kinder haben, oft mehrmonatige Stipendien im Ausland wahrnehmen – ich könnte hierfür viele Beispiele aufzählen, die mir persönlich bekannt sind – machen Mütter das meist nicht. Viele Aufenthaltstipendien untersagen die Mitnahme von Kindern sowieso kategorisch. Eingeladen zu einem Writer-in-residence-Stipendium nach New Hampshire, musste ich feststellen, dass ich in 60 Jahren Stipendienvergabe die erste Schriftstellerin war, die mit Familie kommen wollte. Fast alle Stipendiaten waren Männer – und die wenigen eingeladenen Autorinnen hatten keine oder schon erwachsene Kinder. Alle eingeladenen Schriftsteller wurden, sofern sie Familie hatten, von ihren Ehefrauen oder Lebensgefährtinnen begleitet, die sich selbstverständlich um die Kinder kümmerten, nur wir baten um Hilfe bei der Suche nach einem Kindergartenplatz. Damit stellten wir für das renommierte Ostküstencollege ein Novum dar. In der collegeeigenen Kita bekamen wir keinen Platz, obwohl wir schon zwei Jahre im Voraus darum gebeten hatten.

Deutschlands bekannteste Agentin, Karin Graf, Inhaberin der großen Literatur- und Medienagentur „Graf & Graf“, meint ohne zu zögern, dass Verlage ihr für die Manuskripte von Schriftstellerinnen weniger Geld anbieten als für die männlicher Kollegen. Auch bekämen nachgewiesenermaßen Männer leichter und eher Hardcoverausgaben ihrer Bücher als Frauen.

Laut Statistik der Künstlersozialkasse verdienen Schriftsteller durchschnittlich 4.919 Euro mehr als Schriftstellerinnen: Das Jahresdurchschnittseinkommen im Bereich „Wort“ liegt für Männer bei 19.523 Euro, für Frauen bei 14.604 Euro. Diese Kluft hat auch Folgen für die soziale Lage der Schriftstellerinnen, nicht zuletzt für Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Damit wird ziemlich genau der Unterschied von 25 % bei Männern und Frauen für die gleiche Arbeit statuiert, den die ZEIT einmal berechnet hat. Doch nicht nur abstrakte Zahlen, sondern auch die eigene Erfahrung unterstreicht dies: Als ich von einer bekannten Kultureinrichtung in Berlin zu einer Podiumsdiskussion eingeladen wurde, musste ich nachher in der Kneipe erfahren, dass ich 100 Euro weniger als meine beiden männlichen Mitstreiter erhalten hatte. Wie kann so etwas passieren? Auf Rückfrage erklärte der Veranstalter, dass die männlichen Kollegen „besser verhandelt“ hätten als ich. Vorher hatte er mir jedoch gesagt: „Bei Podiumsdiskussionen haben wir seit Jahren einen Festsatz, was das Honorar angeht, da gibt es keinen Spielraum“. Dies hatte ich nicht als Aufforderung verstanden, weiter über das Honorar zu verhandeln, die männlichen Kollegen offenbar schon. So lange zu wenig Frauen Schlüsselpositionen im Literaturbetrieb besetzen, wird sich das unterschiedliche Kommunikationsverhalten von Männern und Frauen immer wieder zum Nachteil von Schriftstellerinnen erweisen.

Ein Blick auf die Träger großer Literaturpreise zeigt die unterschiedliche Wahrnehmung von Autoren und Autorinnen besonders deutlich. „Bekommt eine Frau eine wichtige Auszeichnung zuerkannt“, sagt Ruth Klüger, „wird das immer noch mit Ausrufezeichen versehen.“

Der Nobelpreis wurde bisher 99 mal an Männer und dreizehnmal an Frauen verliehen. Die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek kommentiert das so: „Ich zähle dazu, aber ich komme nicht vor“.

Ein Blick auf den Pulitzer-Preis offenbart ein ähnliches Missverhältnis: Von bisher 240 Preisträgern waren 198 Männer und 42 Frauen. Vielleicht, so dachte ich, ist die Lage ja bei den französischsprachigen Nachbarn anders, da gab es doch Schriftstellerinnen wie Marguerite Duras und Simone de Beauvoir. Doch der Prix Goncourt wurde 101 Männern und nur neun Frauen verliehen. Im deutschsprachigen Raum sieht es nicht besser aus: Der Georg-Büchner-Preis ging bislang nur neunmal an Frauen (von 63 Preisträgern). Bei der Vergabe des Bachmann-Preises sieht die Lage etwas besser aus: Hier ist ein gutes Drittel der Preisträger Frauen.

Beim Deutschen Krimipreis ist die Lage wieder deprimierend: Von 176 Preisträgern sind 15 Frauen. Hier könnte man argumentieren, dass es wahrscheinlich – ich konnte keine genauen Zahlen hierzu finden – mehr männliche Krimischreiber gibt als weibliche. Ein Problem besteht schon darin, dass allein die Jurys fast immer männlich dominiert sind. In den bisher tagenden Jurys des Deutschen Krimipreises befanden sich 26 Männer und 8 Frauen.

Man kann jedoch konstatieren, dass es bei allen Literaturpreisen – ob international oder auf den deutschsprachigen Raum bezogen – in den letzten 15-20 Jahren mehr weibliche Preisträger als je zuvor gegeben hat. Das ist beim Bachmann-Preis auffällig. In den letzten sechs Jahren wurde er sogar dreimal an Schriftstellerinnen verliehen. Diese Entwicklung spricht dafür, dass sich die Situation von Schriftstellerinnen langsam verbessert. Aber der Bachmann-Preis ist leider noch immer die Ausnahme. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen, und damit auch von Schriftstellerinnen, haben sich zwar in den letzten 60 Jahren stark verändert, und die Geschlechterhierarchien sind in Frage gestellt worden. Doch bis heute wird das Merkmal „weiblich“ in den Künsten als gesonderte Kennzeichnung einer Minderheit eingesetzt. Das muss sich ändern.

In einer Kneipe im Prenzlauer Berg hängt ein Gemälde der Schriftstellerin Judith Hermann. Sie schaut melancholisch und verloren in die Welt. Den Kopf hat sie zur Seite geneigt, schüchtern, verstehend. Dass sie Schriftstellerin ist, kann man dem Bild nicht ansehen. Vorlage war ein bekanntes Portraitfoto der Autorin aus dem SPIEGEL – zum Auftakt des „Fräuleinwunders“.

© Tanja Dückers, Juni 2015

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