Bericht aus Ohio nach Trumps Sieg (Tagesspiegel, November 2016)

Das College in Ohio, an dem ich in diesem Herbst Germanistik lehre, hat einen sehr progressiven Ruf. Besonders die Künste werden am Oberlin College groß geschrieben. Wenn man in die Mensa geht, sieht man mehr junge Leute mit bunten Haaren als in Kreuzberg. Nach dem verheerenden Wahlabend herrscht in der sonst so quirligen Stadt mit vielen kleinen Cafés und Geschäften eine bedrückende Stille. Die Stimmung ist wie nach dem 11. September, den ich ebenfalls an einem US-College erlebte. Fast alle Bekannten, die ich treffe, sagen mir, dass sie am Abend zuvor geweint haben. Eine Kollegin hat „eine Stunde lang meditiert“, bevor sie sich am nächsten Morgen die Wahlergebnisse zumutete. In Oberlin, einer Stadt, in der sonst jede Minderheit und Identitätsgruppe, ob ethnisch, sexuell oder auch schlicht kulinarisch (vegan!) gern ihr eigenes Süppchen kocht, entsteht plötzlich ein neuer Kollektivsinn. Meine Kollegen erscheinen am Tag nach der Wahl fast alle in Schwarz. Abgesprochen war das nicht. Es ist eine stille würdevolle Art, Protest und Trauer auszudrücken.

Den Wahlabend selber verbrachte ich auf einer kleinen Party bei einem Professorinnenpaar – das Zusammenkommen war tatsächlich als Party geplant gewesen. Auf einem reich gefüllten Buffettisch standen Törtchen mit Hillary-Konterfei. Als um 22.30 Uhr Ohio an Trump ging, sprach und aß niemand mehr. Ohio hat immer als Swing State gegolten, nun holte Trump hier fast 10 % mehr als Clinton. Da swingte nichts mehr, da wurde etwas betoniert. Und die Region Lorain County, in der das College – eine blaue Insel im roten Meer – liegt, verzeichnete 15 % mehr Wähler für Trump. Das Erstaunen schlug bald in Entsetzen und Angst um. Eine Englischprofessorin sagte zu mir: „Tanja, Du bist zu jung, um den Aufstieg Hitlers miterlebt zu haben, jetzt kannst Du Ähnliches hier mitansehen“.

 

Normaler Unterricht hat an diesem wie auch an vielen anderen Colleges in den USA seit vergangenem Mittwoch nicht stattgefunden – viel zu aufgewühlt sind alle. Stattdessen wird über die Bedeutung der Wahl für die Zukunft Amerikas diskutiert. Viele Studenten, gerade Nicht-Weiße und Nicht-Heterosexuelle, haben Angst, nun erst recht Opfer von Diskriminierungen und Hate Crimes zu werden. Erste Vorfälle nach der Wahlnacht gab es schon. Aggressive Motorradfahrer mit Konföderiertenfahne tauchten auch plötzlich in der Stadt auf. Der Direktor wandte sich persönlich an die Studenten, sagte, dass er alles tun wird, um sie zu beschützen.

 

In Oberlin fällt im Kleinen auf, was bei der Wahl im Großen zum Problem wurde: dass die Jungen nicht von Clinton „mitgerissen“ wurden. Dass es hier vor allem die Vertreter der Achtundsechziger waren, die wirklich für Hillary Clinton gewesen sind und in der Wahl einer Frau für das höchste Staatsamt der USA ein triumphales Zeichen für Frauen weltweit gesehen hatten. Für meine Studentinnen hatte Hillary Clinton keine aufrüttelnde Bedeutung, keine wichtige Botschaft mehr. Vielleicht haben die Demokraten versäumt, nach Obama jüngeres politisches Personal mit Ausstrahlungskraft aufzubauen. Wer hier Clinton gewählt hat, tat dies lediglich, um das „kleinere Übel zu wählen“. Die meisten waren für Sanders. Manche Studenten, die sich jetzt die Haare raufen, glaubten vorher, es sei nicht nötig, wählen zu gehen, denn Trump würde auf jeden Fall gegen Clinton verlieren. So haben die falschen Umfrageergebnisse tatsächlich die Wahl beeinflusst.

 

In der Grundschule, die unser Sohn besucht, reden schon die Erstklässler über die Wahl. Mehr als die Hälfte der Kinder ist afroamerikanischer oder hispanischer Herkunft. Hier gab es keine Zustimmung zu dem sich regelmäßig rassistisch äußernden Immobilien-Milliardär. Mit Freude rufen die Kinder „Dumb Trump!“. Dann taucht doch noch eine Trump-Unterstützerin auf: Die Englisch-Förderlehrerin unseres Sohnes. Mit ihr hat er sich immer bestens verstanden. Die beiden haben nun einen harten Wortwechsel. Die Lehrerin hat den Unterricht provokant mit „I am happy that Trump won“ eröffnet, unser Sohn gab sofort zurück, dass Trump aber doch very stupid sei. So kann man auch Englisch lernen. Wer meint, dass man in den USA nicht gern über Politik spräche, ist nicht im Amerika des Jahres 2016 gewesen. Die Atmosphäre ist, angeheizt vom brutalen Wahlkampf, nicht auf Nett-Sein ausgerichtet. Das ist natürlich gefährlich. Am Ende habe ich Mühe, unserm Sohn zu erklären, dass er seine Lehrerin nach wie vor als Mensch gern haben kann, auch wenn sie seltsame politische Ansichten hat.

 

Eine Studentin von mir, die aus New York stammt und im Hauptfach Operngesang belegt hat, meint, das „einzige Gute“ an dieser furchtbaren Woche sei, dass man nun eine Vorstellung hat, wer die Leute sind, die Trump zustimmen. Und wie viele es sind. „Vielleicht ist es mein Fehler “, überlegt sie, „aber ich habe diese Leute bisher nicht wirklich gesehen.“

 

Bei meinen gelegentlichen Ausflügen ins Umland von Oberlin fällt mir stets der Kontrast zwischen der urban-diversen Collegetown und dem ruralen, stets ein wenig monoton wirkenden Amerika auf. Nur noch Maisfelder, endlose breite Streifen wie auf einem Mark-Rothko-Gemälde, unterbrochen vom flirrenden Streifen Graublau des Lake Eries und von strahlend weißen Holzhäusern mit gepflegten Vorgärten. Diese Häuser haben nichts von der gutsituierten Nachlässigkeit, mit der linksliberale Professoren ihre Vorgärten und Veranden in Collegetowns gestalten. Und dann diese vielen rotumrandeten Schilder: Trump. Make America great again. Sie verschandeln den ganzen Küstenstreifen des Lake Eries. Welche Menschen gehören zu diesen Schildern?

In diesen schönen, wenngleich etwas aseptisch wirkenden Villen mit Seezugang wohnen nicht die Armen. Hier leben diejenigen, die Angst davor haben, irgendwann einmal arm zu werden. Die wirklich Armen haben Clinton oder gar nicht gewählt. Oder sie durften nicht wählen – so wie die Millionen Gefängnisinsassen.

Die meisten Unterstützer findet Trump unter denjenigen, die zwischen 50.000 und 100.000 Dollar im Jahr verdienen und nicht an den großen Küsten leben, also bei der kontinental-ländlich geprägten Mittelschicht. Und bei Vertretern dieser Schicht steht Oberlin nicht hoch im Kurs. „Das ist ein anderer Planet“, erklärt mir Ron vom Car Rental in Amherst, während er den Autoschlüssel aus seiner Jackettasche hervorzieht. Er ist ein sehr kräftiger Mann. Der andere Planet ist keine acht Meilen entfernt. Ron kommt nur nach Oberlin, wenn eine Gastprofessorin wie ich mal einen fahrbaren Untersatz braucht. Sonst berühren sich die Sphären nicht.

 

 

 

© Tanja Dückers, Oberlin, im November 2016

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