Antiamerikanismus in Deutschland (The German Times – im amerikan. Englisch, März 2019)

So weit ist es mit der deutsch-amerikanischen Freundschaft gekommen: Die Deutschen haben mehr Vertrauen in China als in die USA. Das ergab gerade eine Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Civey im Auftrag der Atlantik-Brücke durchgeführt hat. 85 Prozent der Befragten bewertet das Verhältnis als negativ bis sehr negativ. Mehr als die Hälfte der Befragten plädiert zudem für eine Distanzierung von den Vereinigten Staaten. Das renommierte Pew Research Center aus Washington und die Körber-Stiftung kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Nur in einem Nato-Land genießen die USA ein noch schlechteres Ansehen als in Deutschland: in der Türkei.

Jenseits von Europa ist das Ansehen der Vereinigten Staaten in der Welt dagegen relativ hoch: in Indien haben 70 Prozent der Bürger eine hohe Meinung von den USA, in Vietnam sind es 78 %, in Brasilien 73 % und selbst in Mexiko sind es Zweidrittel der Bevölkerung.

 

Doch machen die Deutschen ihrem Unmut nicht nur anonym bei Befragungen Luft. Führende Intellektuelle, Schriftsteller_innen und Publizist_innen – von Durs Grünbein bis Dieter Kosslick – sowie Politiker _innen machen aus ihren antiamerikanischen Ressentiments kein Geheimnis. Manche von ihnen erklären öffentlich, dass sie grundsätzlich nicht in die USA reisen. Als Bildungslücke wird so etwas offenbar nicht mehr empfunden.

Die antiamerikanischen Reflexe weisen bisweilen groteske Züge auf: So war der 11. September eine Erfindung von CIA und Mossad, der IS ausschließlich ein Produkt der imperialistischen Politik der USA und so weiter. Wir sprechen nicht vom thüringischen Dorf-Stammtisch, sondern von Hauptstadt-Intellektuellen. Zurecht empörten sich hier viele Menschen über Guantanamo. Zur gleichen Zeit wütete jedoch der NSU in Deutschland, weite Teile des Staats- und Polizeiapparats ignorierten das Treiben.

 

Woher nun die große Abneigung? Darüber ist viel geschrieben worden, zum Beispiel von dem Historiker Dan Diner. Natürlich spielt, oft unbewusst, Antisemitismus eine Rolle. Viele Menschen bemerken nicht einmal mit welchen Stereotypen sie umgehen und welch diffamierende Sprache sie benutzen, wenn sie von einem bestimmten Typus von New Yorker Banker sprechen. Reden sie genauso vom „Frankfurter Bankier“? Nein. Aber meiner Meinung nach sind antisemitische Reflexe für die Mehrheit der amerikaüberdrüssigen Deutschen nicht entscheidend. Mit konkreten außenpolitischen Verfehlungen oder auch: Verbrechen der USA – da gäbe es einige zu nennen – haben die antiamerikanischen Reflexe auch eher wenig zu tun.

 

Vielmehr lehnt man die USA als Inkorporierung „des“ Kapitalismus, der Konsumindustrie, des – angeblich – schlechten Geschmacks, des „Werteverfalls“ und der „Oberflächlichkeit“ ab. Es geht bei Vorurteilen nie um Fakten, sondern immer um Gefühle. Die meisten Deutschen, die urteilen, urteilen über ein Land, das sie nicht oder nur von einer oder zwei Reisen her kennen. Man hat es also mit einem klassischen Vor-Urteil zu tun. Es handelt sich hierbei um ein kulturelles und ein psychologisches Vorurteil: Die USA – das ist das Land der bösen Kapitalisten, der Dicken und Doofen. Der Dummdreisten und der Narzissten, derjenigen, die sich für nichts außer sich selbst (in der Welt) interessieren. Der Frauen, die zu viele Schönheitsoperationen hinter sich haben, der Männer, die wie Dagobert Duck (eine amerikanische Erfindung) nur an Geld, statt an Kunst und moralischen Werten (Selbstbild der Deutschen) interessiert sind. Der Popcorn-Kinder. Der debilen Trumpwähler im Mittleren Westen (Achtung: die Hälfte der Bürger im Mittleren Westen hat nicht Trump gewählt).

 

Das lange verspürte Minderwertigkeitsgefühl, erst Kriegsverlierer und dann Junior-Partner zu sein, wird wettgemacht, in dem sich auf angenommene „höhere Werte“ sowie auf die angeblich höhere moralische Integrität beruft. Auf die kulturellen und psychologischen Unterschiede. Auf den besseren (rheinischen) Kapitalismus.

Die Abneigung entsteht auch durch Nähe: Die USA sind uns kulturell und habituell viel näher als Chinesen oder Inder. Während man sich bei „exotischeren“ Ländern mit der Kritik zurückhält (wann wurde deutlich Kritik an den über 5000 vollstreckten Todesurteilen – so Amnesty International – in China laut? Wer ist angesichts der Grausamkeiten des Tschetschenienkriegs auf die Straße gegangen?), schaut man lieber zu den – Verwandten. Die meisten Amerikaner haben europäische Wurzeln, viele Familien sind erst seit drei, vier Generationen in Amerika. Im verspotteten Mittleren Westen bilden die Deutschstämmigen übrigens die mit Abstand größte Bevölkerungsgruppe. Die Nähe spiegelt sich umgekehrt in Deutschland in der mannigfachen Übernahme amerikanischer Produkte, Kultur- und Konsumgüter, die man aber ebenso „ablehnt“ wie man sie begehrt. Die Deutschen schwanken zwischen konsumbefriedigter Behaglichkeit und miesepetrig-moralisierendem Postmaterialismus. Und die USA sind wie ein großer ungeliebter Halbbruder, der gleichzeitig alles besser und schlechter macht als man selbst.

Der Lebensstil in den USA ist lange von den Deutschen bewundert und vielfach kopiert worden. Doch besteht zugleich ein tiefes Ressentiment gegen die USA als Symbol und Sinnbild der „entfesselten“ Moderne, von Entfremdung, Entwurzelung und Beschleunigung. Und natürlich finden sich hier – auch – antisemitische Stereotype wieder. Diesem Zerrbild der ungezügelten Moderne stehen bis heute die Ausläufer des Deutschen Idealismus gegenüber (mit Begriffen wie Volk, Boden, Heimat, Wald, Schlegels Wolkenkuckucksheim). Arrogant blickt man über den Atlantik wie von der Balkonbrüstung (Altbau) hinüber zum „neureichen Nachbarn“ ohne Manieren im Betonklotz.

Wie tief verankert, wie salonfähig das dumpfe antiamerikanische Ressentiment in Deutschland ausgeprägt ist, lässt sich auch an dem Erfolg des nun gestrauchelten SPIEGEL-Journalisten Claas Relotius ablesen, der besonderen Zuspruch für erfundene Reportagen über sehr unsympathische Amerikaner erhielt. Das kam gut an. Das war preiswürdig. Zurecht sprach der amerikanische Botschafter hier von Antiamerikanismus.

Wenig gesprochen wird in Deutschland unter den Intellektuellen über die Gründe für den Erfolg der USA, der ja nicht nur auf „Ausbeutung“ und „Imperialismus“ begründet ist. Die bei allen Mängeln unglaubliche Integrationsleistung des ethnisch und kulturell sehr heterogenen Landes, die hohe persönliche Disziplin vieler Arbeitnehmer_innen in den USA (zwei Wochen Ferien, weniger Gejammer als in Deutschland) und auch die Opfer- und Risikobereitschaft vieler Amerikaner_innen (alles vorhandene Geld in die Ausbildung der Kinder stecken, da wird auch mal das Haus verkauft oder der eigentlich dringend benötigte Zweitwagen) werden selten erwähnt. Bei aller berechtigten Kritik am Materialismus „der“ US-Amerikaner_innen wird ihre idealistische und romantische Seite selten gewürdigt. Selbst ein Präsident Bush war eher weltfremd und naiv als ein klassischer Schurke als er von der „Achse des Bösen“ sprach. Diesem Denken lag noch etwas von der wertegeleiteten Vorstellung, die Welt „positiv“ beeinflussen zu können, zugrunde. Unsinnige Kriege führen die Amerikaner nicht in erster Linie wegen „Öl“.

Bei allem Abstand, den die Deutschen sich gegenüber den USA wünschen, scheinen sie zudem wenig bereit, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen. Denn weniger Kooperation mit den Vereinigten Staaten bedeutet, dass Deutschland mehr in seine Sicherheit investieren müsste. Das wiederum wird klar abgelehnt. Mehr als Zweidrittel der Deutschen möchte die Verteidigungsausgaben nicht erhöhen.

Die USA abzulehnen, ist eine Form von projiziertem Selbsthass. Viele Deutsche leiden an einer postkapitalistischen Sinnkrise. Die Frage ist nur, wie man auf sie reagiert. Man kann sich mit dem Beitrag befassen, den Deutschland selber zur Umweltzerstörung und zum Klimawandel sowie zur Vernichtung von nicht-konkurrenzfähigen Unternehmen in Dritte-Welt-Ländern leistet, man kann aber auch – easy way out – „die“ USA als Hauptbösewicht bezeichnen und glauben, wenn dieses Land „untergeht“, ginge es der Welt besser. Der Abgesang auf „Amerika“ hat hierzulande viele Fans. Leider wird nie über den Tag X hinausgedacht. Wird der Kapitalismus untergehen, wenn es den USA schlechter geht? Wohl kaum. Wie die Alternative zum „westlich-kapitalistischen“ Lebensentwurf, für den die USA sinnbildlich stehen, konkret aussehen könnte, wird wenig antizipiert.

Auch wird die US-Kritik gern auf dem Apple-Notebook formuliert, während im Hintergrund Rihanna läuft. Konsequente Globalisierungs- und Kapitalismuskritik sähe anders aus, würde uns aber in nationalistisch- dunkle Zeiten zurückbefördern.

Die interessantesten Ansätze für ein besseres Leben stammen daher von Leuten, die nicht auf undifferenziertes US-Ressentiment setzen, sondern an einer Einhegung kapitalistisch-asozialer Auswüchse und ökologischen Vabanque-Spiels arbeiten. Viele von ihnen leben in den USA.

© Tanja Dückers, Berlin, im Februar 2019

Nach oben scrollen
WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner