Verbeugung vor der Luft: Achim Mohnés „Fireflies“

veröffentlicht im Katalog des Künstlers, Los Angeles, 2001 und Website der Kunsthochschule für Medien, Köln 2001

Die Villa Aurora ist ein besonderer Ort: Sie stellte für den deutsch-jüdischen Schriftsteller Lion Feuchtwanger und seine Frau Martha vor der Hetzjagd der Nazis die letzte Station auf ihrer abenteuerlichen Flucht über Frankreich, Spanien und Portugal dar. Im Salon der Villa trafen sich von 1943 an fast alle berühmten Emigranten der damaligen Zeit: Thomas und Heinrich Mann, Brecht, Döblin, Paul Dessau, die Werfels, Ernst Toch, Hanns Eisler, Fritz Lang, Kurt Weill, Rubinstein, Horowitz, Schönberg, Einstein, Marcuse, Adorno … Man sagt, eine so kompakte, interdisziplinäre Versammlung von Geistesgrößen wie in den vierziger Jahren in Südkalifornien hätte es selten jemals zuvor in oder außerhalb von Deutschland gegeben.
Mit seiner Arbeit „Fireflies“ hat der Kölner Künstler Mohné noch einmal die Rolle des Pioniers, des Reisenden, der kulturelles und geophysisches Neuland betritt, eingenommen – mit dem Privileg des „Spätgeborenen“, in seine Heimat zurückkehren zu können. Sein Blick ist absichtlich der eines ehrfürchtigen Fremden: Assoziationen wie „magisch“, „gebannt“ und „wunderbar“, die „Fireflies“ evoziert, zeugen von kindlicher Begeisterungsfähigkeit und offenem Sinn für die ungewohnte Umgebung. Mohné „amerikanisiert“ sich nicht, sondern gibt seinen externen Standort preis.
Für Europäer ist es immer wieder erstaunlich zu beobachten, wie selbstverständlich Amerikaner von ihren sublimen Naturphänomenen Notiz nehmen: Im Flugzeug über dem Grand Canyon gucken sie Filme oder essen hingebungsvoll, anstatt einen Blick nach unten zu werfen. Der vom „Grünen Punkt“ fast bis zur Zwangsneurose getriebene Bewohner des alten Kontinents konstatiert erstaunt, mit welcher Nonchalance viele U.S.-Amerikaner die weit ausgedehnte native Landschaft hemmungslos als Mülldeponie benutzen und Natur zu „waste land“, im doppelten Wortsinn, konvertieren. 2000 Pfund-Bomben und als Zielscheiben verwendete ausgebrannte Schulbusse liegen in Militärgebieten so groß wie deutsche Bundesländer unter der Sonne, schrottreife Jumbo-Jets, gigantische Filmkulissen oder ausgedehnte Ebenen mit Windmühlen wie extraterrestrische Radaranlagen überraschen den motorisierten Spaziergänger hinter einer Bergkette oder einem Palmenhain … Merkwürdige Land- und Cityscapes hat Mohné durchquert, hinter den vergrößerten Bewegungen von Insekten, Pollen und Staubkörnern leuchten manche auf.
„Fireflies“ weist Achim Mohné als interdisziplinär arbeitenden Künstler aus, der Videofilmkunst/Fotografie und Land Art auf sehr besondere und innovative Weise miteinander verbunden hat. In der kontemporären Land Art herrschen zwei gängige Varianten vor: Zum Einen eine Gruppe von Land Artists, die nur sehr langfristig reversible Eingriffe in die Natur vornehmen – dazu gehört z. B. Michael Heizer, der Großraumprojekte in der Wüste durchführte, bei denen Stahlzylinder in den Boden eingelassen und Gigatonnen von Sand bewegt wurden. Auch Nancy Holts „Sun Tunnels“ und Robert Smithsons „Spiral Jetty“, die erst nach Jahrzehnten überspült wurde, fallen in diese Kategorie – auf der anderen Seite stehen jene Künstler wie Christo („Verpackte Luft“, „Running Fence“) oder Goldsworthy, deren Eingriffe in die Natur temporär sind und im Falle von Letztgenanntem oft mit natürlichen Mitteln: Blattwerk, Steinformationen, Schneeaufhäufungen etc. vonstatten gehen.
Achim Mohné setzt nun an einem besonders interessanten und sensiblen Punkt an: Er hat das „unnatürliche Element“, den künstlerischen und künstlichen Eingriff, nach innen, aufs Auge der Kamera verlagert, nicht die Umgebung verändert, sondern sich selbst, seine „Einstellung“: Die Natur des Südwestens selbst – makroskopisch in wüstenhafter und ozeanischer Endlosigkeit, mikroskopisch in Form von Staub, Wassertropfen und Kleinstlebewesen im Licht, unberührt oder von menschlicher Präsenz gezeichnet wie die mit Windmühlen gespickte Wüste – wird bei Mohné inszeniert und ist Protagonist seiner Arbeit, nicht der menschlich-kunstvolle Eingriff in diese Struktur, ob nun fragil-temporär oder beinahe irreversibel.
Diese Begriffe haben sich für Mohné vermischt und aufgelöst: Das wirre Flirren der organischen und anorganischen Kleinstpartikel vor der scheinbaren Statik der gleichförmigen Wüsten- oder Meerlandschaft, setzt simultan den subjektiv-humanen Blick von „Realität“ neben den naturwissenschaftlich-fragmentierten. „Fireflies“ legt Zeugnis ab von einem Blick „nach“ Heisenberg, Planck und Freud, der, und das zeichnet Mohnés Arbeit aus, das Objekt seiner Betrachtung ebenso zerlegt wie es es auch respektiert und auratisiert. Mystisch, fata morganahaft und fremd erscheint das sezierte Material – der irrationale Naturwissenschaftler, der um Objektivität bemühte Künstler treffen hier in Personalunion zusammen.
Wie ist diese genuine Melange enstanden? -„Fireflies“ weist den Künstler als diskreten Beobachter aus, seine quasi dokumentarische Arbeitsweise reduziert die Möglichkeit einer voreingenommenen, ego-zentrischen Sicht auf das zu erforschende Objekt. Wie viele berühmte Dokumentarfilmregisseure stets einräumten – man denke an Frederic Wiseman oder Emile de Antonio sowie an Theorien zum Direct und zum Radical Cinema – liegt in der spezifischen Selektion der Schauplätze sowie auch in der variablen Filmtechnik selbst ein subjektives Moment. Mittels dieser individuell determinierbaren Elemente hat Mohné schließlich seiner Arbeit – der eines vorurteilslos Reisenden – eine emotionale Qualität, einen fast hymnischen Unterton, ein sprachlos-gebanntes elektrisiertes Schaudern, eingehaucht. Die langen Einstellungen, die wenigen Schnitte, die Monotonie der Schauplätze: die Mojave-Wüste, der Topanga State Park, der Flugzeugfriedhof mitten in der Wüstennacht, die endlose Reise makellos weißer Windmühlen, die rhythmische Brandung des Pazifik, das mannigfaltige Zittern und Kreisen der Insekten, fremd und seltsam leblos, fast wie Computersimulationen, sprechen eine stumme Sprache der Faszination mit angehaltenem Atem.
Darüberhinaus zollt Achim Mohné in der Auswahl seiner Örtlichkeiten, zu der auch der nächtliche Garten der Villa Aurora gehört, diesem Haus und seiner Geschichte direkt Tribut. Somit wird die Villa Bestandteil der „magischen Topographie“, die Mohnés Blick uns erschließt.

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