Polizeigewalt in den USA (SZ, April 2015)

Ein unbewaffneter Schwarzer flüchtet in North Charleston nach einer Verkehrskontrolle vor einem weißen Polizisten und wird von ihm durch Schüsse in den Rücken getötet. In Cleveland wird ein zwölfjähriger Junge von einem Beamten erschossen, weil dieser eine Spielzeugpistole für echt hielt. In Tulsa tötet ein 72-jähriger Hilfssheriff einen Schwarzen bei der Verhaftung, weil er versehentlich anstelle des Teasers seine Pistole benutzte. Die Liste ließe sich lange fortführen – fast täglich endet ein Polizeieinsatz in den USA tödlich. Und auch in Deutschland machten die Aufstände in Ferguson Schlagzeilen, nachdem dort im vergangenen Herbst ein schwarzer Teenager erschossen wurde.

Dabei weiß niemand genau, wie viele Menschen überhaupt getötet werden. In den USA gibt es kein zentrales Register über die Anzahl von Todesfällen durch Polizeieinsätze. Jeder Bundesstaat führt seine eigene Statistik, manche auch nicht. Wenn man jedoch, wie jetzt geschehen, die Zahlen addiert, kommt man auf erschreckende Ergebnisse: Seit dem 11. September 2001 gab es rund 5.000 Tote durch Polizeieinsätze.[1] Demgegenüber stehen 54 Anklagen und gerade mal elf Verurteilungen.[2] Der Anteil der getöteten Schwarzen durch Polizeieinsätze ist dreimal so hoch wie der Anteil in der Bevölkerung (13 Prozent). Und Schwarze machen 44 Prozent der Gefängnisinsassen aus.[3]

Allerdings gibt es dieser Tage in den USA, was in Deutschland nicht immer wahrgenommen wird, wieder eine Welle an landesweiter, öffentlicher Empörung über die jüngsten Fälle von polizeilicher Gewalt gegen schwarze Mitbürger. Landesweit gab es erneut viele Proteste. Die Medien in den USA sind derzeit voller Anklagen gegen die Ungleichbehandlung. So hat der bekannte schwarze Professor Stan Chu Ilo von de DePaul University in Chicago in der Huffington Post in seinem Artikel „Being a Black Male in America: Racism and the Police“ die US-Regierung angeklagt, in Bezug auf schwarze junge Männer komplett zu versagen und weiße Polizisten Schwarze einfach erschießen zu lassen, als sei deren Leben nichts wert. Er berichtet davon, wie ein schwarzer Professorenkollege ständig von der Polizei in Chicago kontrolliert werde, weil man sich offenbar nicht vorzustellen vermag, dass er ein so teures Auto besitzen könne – und dies nicht Diebesgut sei.[4]

Angesichts der vielen Opfer von Polizeigewalt hat die US-Regierung im März diesen Jahres eine Task Force ins Leben gerufen, um die Polizei zu reformieren. Im neuen Abschlussbericht findet sich eine andere Sprache. Da ist von „friedlich“, „deeskalieren“ und „Anti-Konflikt-Training“ die Rede. Das klingt alles gut und lässt schwache Hoffnung aufkommen. Doch wie viele Menschen müssen noch sterben, bis sich ein anderer Umgang der Polizei mit der eigenen Bevölkerung durchsetzt? Neue Verhaltensregeln für die Polizei alleine werden jedenfalls nicht ausreichen.

Auffallend ist, dass die tödlichen Einsätze oft in Gegenden mit vielen sozialen Problemen stattfinden. Während dort zumeist überdurchschnittlich viele Schwarze wohnen, ist die Polizei überwiegend weiß. Die Mischung entwickelt oft eine fatale Dynamik. Da in von Schwarzen dominierten Stadtteilen aufgrund sozialer Missstände und Armut tatsächlich oft höhere Kriminalitätsraten zu verzeichnen sind, neigen viele weiße Polizisten dazu, sozusagen aus ihrer empirischen Erfahrung, Verdächtigungen in diesem Umfeld zu tätigen und vorurteilsbeladen zu agieren. Infolgedessen werden die Bewohner schwarzer Stadtteile viel öfter kontrolliert als Weiße in wohlhabenden suburbs. So verstärken sich rassistische Stereotypen, obwohl das Kriminalitätsgefälle eigentlich auf ökonomische und soziale Unterschiede zurückzuführen ist.

 

Einen eigenen Weg mit diesen Konflikten umzugehen versucht seit einigen Jahren die Großstadt Cincinnati (Ohio). Dort eskalierte vor 14 Jahren die Situation, nachdem ein weißer Polizist einen schwarzen Teenager erschossen hatte. Hunderte Demonstranten stürmten damals die Innenstadt und lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei, die daraufhin den Ausnahmezustand verhängte. Die Cincinnati Riots von 2001 signalisierten aber auch einen Wendepunkt. Die Stadtverwaltung initiierte zusammen Vertretern aus der lokalen Wirtschaft, der Black Community und der Polizei einen Ausschuss, der nach zähen Verhandlungen einen gemeinsamen Kodex und neue Verhaltensregeln für die Polizei vereinbarte. Vor allem aber wurde ein Sanierungsplan für das von den Unruhen besonders betroffene Innenstadtviertel Over the Rhine beschlossen. Ursprünglich von deutschen Auswanderern gegründet, galt das Viertel lange Zeit als eines der gefährlichsten Stadtviertel in den USA.

 

Die Sanierung hat den Stadtteil nachhaltig verändert. Die jüngere Geschichte von Over the Rhine ist erfolgreicher als die anderer schwarzer Communities in amerikanischen Großstädten, wie etwa Ferguson in St. Louis. Plötzlich ist das Viertel „hip“, Cafés und Galerien machen auf, ein zur Uni gehörendes Kunstinstitut hat hier seine Pforten eröffnet, auf einmal steht der Bezirk in den Reiseführern. Aber einige Schwarze haben das Gefühl, dass nicht sie es sind, die den Bezirk verändern, sondern dass sie wieder von außen dirigiert – und auch verdrängt – werden. Andere Schwarze befürworten die Umgestaltung, zu der auch großzügige neue Spielplätze und Parkanlagen gehören. Nach den jüngsten Unruhen hat die Stadtverwaltung von Cincinnati ein Beraterteam nach Ferguson entsandt.

Gleichzeitig ist Cincinnati ein Beispiel dafür, wie sich eine Großstadt selbst im konservativen Mittleren Westen mittlerweile liberalisiert hat. Viele junge weiße Leute, die hierher gezogen sind, haben progressive Einstellungen, auch zur schwarzen Nachbarschaft – man sieht viele schwarz-weiße Pärchen. Homosexuelle Amerikaner wohnen gern hier, und Firmen wie Procter & Gambler oder die Fluggesellschaft Delta Air vertreten hier eine sehr minderheitenfreundliche Politik. Einheimische berichten, dass „Cincy“ eine sehr minderheitentolerante, offene und lebenswerte Stadt geworden sei – innerhalb von nur ein bis zwei Jahrzehnten.

Dazu dürfte auch die demographische Entwicklung beigetragen haben. In Cincinnati sind 45 Prozent der Bevölkerung schwarz. Schwarze und Hispanics haben eine ungefähr doppelt so hohe Geburtenrate wie Weiße. Längst machen Schwarze, Hispanics, Asiaten und andere mehr als 50 Prozent der US-Bevölkerung aus. Sie werden zurecht ein immer stärkeres gesellschaftliches Gewicht und ein faireres Rechtssystem verlangen. Bald werden die Weißen hier eine Minderheit sein. Nicht nur die Polizei muss sich darauf einstellen – und sich ebenfalls verändern. Die Zeiten, in denen eine überwiegend weiße Polizei widerspruchslos als eine Art Besatzungsmacht gegenüber der schwarzen Bevölkerung auftreten kann, sind jedenfalls vorbei.

 

 

© Tanja Dückers, Ohio, April 2015

[1] (Quelle:www.killedbypolice.net und http://fivethirtyeight.com/features/how-many-americans-the-police-kill-each-year/

[2](Quelle: http://www.sueddeutsche.de/panorama/polizeigewalt-in-den-usa-tausende-tote-anklagen-elf-verurteilungen-1.2432095)

[3]Quelle: http://www.huffingtonpost.com/stan-chu-ilo/being-a-black-male-in-ame_b_7035468.html).

[4] Quelle: http://www.huffingtonpost.com/stan-chu-ilo/being-a-black-male-in-ame_b_7035468.html

 

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